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Das Gottesmahl

Das Gottesmahl

Titel: Das Gottesmahl
Autoren: James Morrow
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Orselli. »Sie haben bewiesen, daß Sie die
Stellung gegen den Modernismus halten können.«
    »Lassen Sie uns hinunterfahren«, sagte der Papst.
    Gemeinsam fuhren die Geistlichen in den berühmten Mediensaal
des Vatikans hinab, ein düsteres Gewölbe, das ausgestattet
war mit Samtsesseln, digitalem Ton und Geräten, die von
Laserdiscs bis zu alten Laterna-Magica-Glasdias alles projizieren
konnten, aber hauptsächlich, wie Orselli anmerkte, für
Cecil B. DeMille-Retrospektiven und spätabendliche
Vorführungen von Die Glocken von Sankt Marien benutzt
wurde. Während die Kleriker sich in die üppigen Sitzpolster
sinken ließen, trat ein helläugiger, junger Mann ein, dem
ein Stethoskop wie ein Sankt-Christophorus-Me-daillon um den Hals
baumelte; seinem weißen Kittel war der Name CARMINATI
aufgestickt. Zusammen mit Dr. Carminati schleppte sich eine
kränklich-schlotterige, um die fünfzigjährige
Männergestalt herein, die außer sonstigen abwegigen
Attributen (Heiligenschein, Harfe, leuchtendes Gewand) ein Paar aus
den Schulterblättern gewachsener, prächtiger Fittiche
aufwies. Dennoch spürte Thomas, daß etwas Todernstes in
der Luft lag, das Cecil B. DeMille und Bing Crosby nicht ferner
hätte sein können.
    »Er ist jetzt seit zwei vollen Tagen bei uns.« Kardinal
Orselli zeigte auf den Geflügelten und stieß einen
gedämpften, gepreßten Seufzer aus. »Mit jeder
Präsentation, die er uns gibt, überzeugt er uns
mehr.«
    »Freut mich, daß Sie da sind, Professor«,
grüßte das Geschöpf mit schwächlicher,
dermaßen kratziger Stimme, als ob sie von einer
Schellack-Schallplatte ertönte. Das Wesen hatte eine erstaunlich
weiße Haut, sie war heller als bei jedem normalen Weißen,
sogar als bei einem Albino. Es schien aus Schnee zu bestehen.
»Mir ist versichert worden, daß Sie nicht nur
intelligent« – es erhob sich auf die Zehenspitzen –,
»sondern auch fromm sind.« Als nächstes schlug der
Geflügelte zu Thomas’ höchster Verblüffung mit
den Schwingen, schwang sich zwei Meter hoch empor und blieb schweben.
»Die Zeit spielt eine bedeutende Rolle«, erklärte er,
während er mit einer Unbeholfenheit durch den Mediensaal
kreiste, die an die plumpen Hüpfer gemahnte, die einst Orville
Wrights klapperiger Doppeldecker über Kitty Hawk
vollführte.
    »Guter Gott«, entfuhr es Thomas.
    Der Geflügelte landete vor dem roten Proszenium-Vorhang. Auf
den jungen Arzt gestützt, stellte die Kreatur die Harfe
beiseite, tappte ans Redner- und Steuerpult, fummelte an den
Schaltern. Der Vorhang teilte sich, der Saal wurde dunkel, und sofort
schoß aus dem Vorführraum ein greller Lichtkegel auf die
perlige Leinwand.
    »Der Corpus Dei«, sagte das Geschöpf
sachlich, als vor den Augen der Priester ein 35-mm-Farbdia
aufleuchtete. »Gottes Leichnam.«
    Thomas verkniff die Augen, aber das Bild – die Aufnahme eines
großen, menschenähnlichen Objekts, das auf Meereswellen
schwamm – blieb unscharf. »Was haben Sie gesagt?«
    Das Geschöpf zeigte das nächste Dia: dasselbe Motiv,
diesmal näher, aber gleich unscharf. »Gottes
Leichnam«, wiederholte der Geflügelte.
    »Können Sie das nicht schärfer
einstellen?«
    »Nein.« Die Kreatur hatte noch drei weitere
unbefriedigende Bilder des schwimmenden Riesen parat. »Ich habe
sie selbst geknipst. Mit einer Leica.«
    »Er hat einen zusätzlichen Beweis«, bemerkte
Kardinal Orselli. »Ein Elektrokardiogramm, das so flach wie eine
Flunder ist.«
    Als das letzte Dia hinausrutschte, überflutete die
Projektorlampe die Leinwand wieder mit blendend-greller Helligkeit.
»Ist das irgendwie ein Jux?« fragte Thomas.
    Natürlich war es nur ein Ulk. In einer Zivilisation, in der
jeder Umbruchredakteur routiniert Fotos von Bigfoot und UFO-Piloten
fälschen konnte, brauchte es wahrlich mehr als ein paar Dias
eines verwaschenen Etwas, um der Vorstellung, die Thomas von Gott
hatte, einem grundlegenden anthropomorphischen Wandel zu
unterziehen.
    Dessen ungeachtet zitterten ihm jetzt die Knie.
    Und in seinen Handflächen sammelte sich Schweiß.
    Er starrte den Teppich an, als wollte er sich durch den Anblick
der dicken, schallschluckenden Fasern selbst hypnotisieren; doch als
er aufschaute, blickte er in die Augen des geflügelten Wesens:
goldene Augen, scheinbar voller elektrischer Fünkchen,
ähnlich wie Van-de-Graaff-Generatoren verschleudern sie
Lichtblitze in die Umgebung.
    »Tot?« fragte Thomas.
    »Tot.«
    »Und die Todesursache?« flüsterte Thomas.
    »Ein absolutes Rätsel. Wir
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