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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer
Autoren: Iny Lorentz
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neuen Gäste wieselte und sie nach ihren Wünschen fragte.
    »Wein und etwas zu essen«, sagte Jemelin.
    »Ich nehme das Gleiche!« Walther wollte niemand verärgern, indem er es ablehnte, hier zu essen und zu trinken, und wurde positiv überrascht. Der Wein schmeckte überraschend gut, und das Essen war genießbar, auch wenn er beim ersten Löffel das Gefühl hatte, in Feuer zu beißen.
    Inzwischen hatten sich auch die übrigen Männer in der Cantina versammelt, während die Frauen fernblieben. Als Walther nach ihnen fragte, hob Jemelin beschwichtigend die Hand.
    »Die Damen sind in der Kirche und wohnen erst einmal der heiligen Messe bei. Anschließend wird ihnen dort aufgetischt. Sie werden auch in der Kirche schlafen.«
    Halbwegs beruhigt fragte Walther nach den näheren Umständen der Ansiedlung und begriff, dass der Bruder des Alcalden aus Mangel an Bewerbern sogar auf Einheimische wie Jemelin hatte zurückgreifen müssen, obwohl das laut Vertrag nicht gestattet war.
    »Das wird Don Ramón den Herren der Regierung natürlich nicht auf die Nase binden«, erklärte Jemelin mit einem Augenzwinkern. »Es ist sehr wichtig, dass die Ansiedlung als abgeschlossen gilt, Señor, denn nur dann erhalten wir das zugesagte Geld und vor allem die zehnjährige Steuerbefreiung. Aus diesem Grund sind wir über Sie und Ihre Leute froh. Wenn Don Ramón de Gamuzana in die Ciudad de Mexico melden kann, er hätte neben Siedlern aus Italien, Dalmatien und Irland auch solche aus Deutschland und Frankreich gewonnen, wird ihm dies die Achtung und die Gunst des Präsidenten einbringen.«
    Walther begriff, dass Don Hernandos Bruder den Posten des Siedlungsagenten dazu benutzen wollte, in der Hierarchie des Landes aufzusteigen. Ihm konnten die Ambitionen dieses Mannes jedoch gleichgültig sein. Für ihn ging es darum, ein Stück Land zu erhalten und so zu bewirtschaften, dass Gisela, er und die Kinder, die sie bekommen würden, davon leben konnten.
    Ein ähnliches Ziel hatte auch Diego Jemelin, und so verstanden sich die beiden Männer auf Anhieb. Zudem erhielt Walther an diesem Abend noch etliche Informationen über Land und Leute, und als sie am nächsten Tag aufbrachen, tat er es mit dem Gefühl, endgültig in Tejas angekommen zu sein.

10.
    U m an sein Ziel zu gelangen, musste der Siedlertreck mehr als vierhundert englische Meilen zurücklegen. Dafür benötigten sie fast fünf Wochen, in denen sie zumeist durch die Wildnis zogen und nur selten auf ein Dorf oder eine alte Missionsstation trafen. Das Land wurde hügeliger, doch alle spürten, dass der jungfräuliche Boden nur des Pfluges harrte, der ihn aufbrechen, und der Saat, die in ihm keimen sollte. Gelegentlich sahen sie in der Ferne Eingeborene, Indios, wie Jemelin und die anderen Mexikaner sie nannten. Die meisten kümmerten sich nicht um den Wagenzug, der mit Neusiedlern, Fuhrknechten, Peones und Vaqueros mehr als dreißig bewaffnete Männer zählte.
    Eine Gruppe kam jedoch auf sie zu. Sie bestand aus nicht mehr als fünf Leuten, von denen zwei vermutlich Frauen waren. Für Walther war ihr Geschlecht nur schwer zu erkennen, da alle die Haare lang trugen und die, die er für Männer hielt, diese sogar zu Zöpfen geflochten hatten. Ein alter Mann in ledernen Hosen und einem langen, fransenbesetzten Hemd trat näher und hob zum Zeichen seiner friedlichen Absichten die Hand. Als er zu sprechen begann, verwendete er zwar die spanische Sprache, aber mit einem derart kehligen Akzent, dass Walther nicht das Geringste verstand.
    »Was will er?«, fragte Walther Jemelin.
    »Der Kerl bettelt uns um Essen an. Außerdem will er uns eine der Frauen verkaufen«, antwortete dieser.
    Walther starrte ihn verblüfft an. »Verkaufen?«
    »Das tun sie manchmal, vor allem, wenn es sich um Weiber von anderen Stämmen handelt, die sie geraubt haben, oder wenn die Zahl ihrer Männer zu gering geworden ist, um alle ernähren zu können.«
    »Aber ich dachte, in Mexiko wäre die Sklaverei verboten«, rief Walther angewidert aus.
    »Die Ciudad de Mexico ist weit, und ich glaube nicht, dass ein Regierungserlass diese Wilden dazu bringt, von ihren Sitten abzugehen. Doch was meinen Sie, sollen wir den Kerlen etwas geben oder sie niederschießen?«
    Jemelin klang zu Walthers Entsetzen so, als wäre ihm das Zweite lieber.
    »Können wir sie nicht einfach so wegschicken?«, fragte Walther.
    Jemelin schüttelte den Kopf. »Nein! Die Wilden sind rachsüchtig und werden versuchen, uns zu schaden. Entweder wir geben
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