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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens
Autoren: Ulrike Rylance
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1. Kapitel
    Ein Zimmer zu finden hatte ich mir einfacher vorgestellt. Oder war ich zu wählerisch? Auf jeden Fall hatte ich wohl unterschätzt, wie viele seltsame Typen es auf dieser Welt gab, in deren Wohnung ich auf keinen Fall einziehen wollte. Selbst wenn es nur für ein paar Wochen war. Verkeimte Küchen bei computersüchtigen Freaks, die mehr oder weniger im Dunkeln lebten, Zimmer von der Größe eines Handtuches oder – hysterischer Höhepunkt vor zehn Minuten – eine spießige Mädchen-WG, wo eine Liste mit Putzpflichten an der Küchentür hing. Sie wollten nur Mädchen – Jungs waren ihnen zu unordentlich. Am liebsten hätten sie mich gleich dabehalten, obwohl ich sofort abgelehnt hatte. Nichtsdestotrotz hatten sie mir ihre Telefonnummer aufgedrängt. Für alle Fälle.
    Ich seufzte und blinzelte in die Sonne. Es war Mitte Juli und wahnsinnig heiß.
    Die letzte Adresse auf meiner Liste war laut Leipziger Stadtplan gar nicht so weit weg. Ich schwang mich auf mein Fahrrad und hoffte, dass das jetzt etwas Vernünftiges war. Wenn ich noch einen Tag länger bei Tante Franziska und dem Geplärre ihrereinjährigen Zwillinge verbringen musste, würde ich durchdrehen. Außerdem hatte ich keine Lust, neben meinem Ferienjob als ewiger kostenloser Babysitter herhalten zu müssen. So niedlich die Zwillinge auch aussahen – nicht mit mir.
    Ich bog jetzt rechts ab und bemerkte, dass die großen Mietshäuser verschwunden waren und stattdessen vornehme Villen die Straße säumten. Riesige Kastanienbäume spendeten Schatten. Ein Luftzug war aufgekommen und erzeugte ein Rascheln in den Blättern.
    War ich hier richtig? Ich konnte mir nicht vorstellen, dass hinter irgendeiner dieser eleganten Stuckfassaden ein Zimmer zu vermieten war, das ich auch nur ansatzweise mit meinen geringen Mitteln bezahlen konnte.
    Ich hielt an und sah erneut auf meinen Zettel. Nummer 34 befand sich am Ende der Straße. Eine große, alte Villa, nicht ganz so herausgeputzt wie ihre Schwestern weiter vorn in der Gegend, aber dennoch beeindruckend. Sie stand ein wenig zurückgesetzt und von Büschen und Bäumen fast vollständig verdeckt in einem Garten. Ein Kiesweg führte zur Eingangstür, über der sich ein dicker Steinengel an das Mauerwerk schmiegte. Ich stieg vom Fahrrad und legte den Kopf in den Nacken. Das Haus sah aus, als ob es schlief. Es kam mir dunkler und größer als die Nachbarhäuser vor. Einen Moment lang glaubteich, eine Bewegung hinter einem der Fenster im Erdgeschoss wahrzunehmen.
    Mir fiel auf, wie still es hier war. Still und so viel dämmeriger als der Rest der Straße. Fast kam es mir vor, als ob die Sonne sich nie hierher verirrte. Auf einmal bekam ich Gänsehaut, dabei hatte ich doch eben noch geschwitzt. Es war merkwürdig. Ich konnte nichts erkennen, aber dennoch hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Wahrscheinlich sollte ich einfach wieder verschwinden. Bestimmt hatte ich die Adresse falsch aufgeschrieben.
    In diesem Moment begann jemand, in der alten Villa Klavier zu spielen. Und nicht nur einen stümperhaften Flohwalzer – nein, eine wunderschöne, romantische Melodie. Ich stand da wie verzaubert, unfähig, mich von der Stelle zu bewegen. Ein Sonnenstrahl brach plötzlich durch das dichte Geäst und tauchte die Villa in mildes Nachmittagslicht.
    Wie albern ich mich anstellte. Ich sollte jetzt endlich klingeln und mir das Zimmer ansehen, das aller Wahrscheinlichkeit nach sowieso schon vermietet war. Forsch marschierte ich den Weg entlang, holte tief Luft und legte den Finger auf die Klingel. Wie aus einem Reflex heraus sah ich kurz nach oben.
    Der Steinengel hockte direkt über mir und hatte anstelle der Augen zwei leere Löcher.

2. Kapitel
    Die Tür ging auf, noch bevor ich die Klingel gedrückt hatte. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Wahrscheinlich eine hutzlige alte Haushälterin mit Schürze, die mir mit abschätzigem Blick mitteilen würde, dass der Herr Professor im Moment nicht zu sprechen sei. So etwas in der Art.
    Auf jeden Fall nicht einen schlaksigen jungen Typen, nur einen Tick älter als ich, mit halblangen Haaren, schmaler Brille, Jeans und seltsam gemustertem T-Shirt. Oder waren das Flecken? Ein merkwürdig süßlicher Geruch wehte mir entgegen.
    »Hallo«, sagte ich. »Ich komme wegen dem Zimmer.« Meine Stimme klang quietschig, höher als sonst.
    »Gott sei Dank«, sagte der Junge, ohne eine Miene zu verziehen. »Ich dachte schon, du wärst von den Zeugen Jehovas.«
    Und während ich ihn
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