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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens
Autoren: Ulrike Rylance
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macht, kapiere ich nicht. Ist doch noch so viel Pizza von gestern übrig.« Claire deutete kurz zu einer großen Pizzaschachtel,die neben dem Herd stand. »Ich wusste auch gar nicht, dass du kochen kannst«, wandte sie sich dann an Julius. Ich atmete auf. Das bedeutete, dass gegenseitiges Bekochen offenbar nicht an der Tagesordnung stand. Meine verkrampften Schultern sanken beruhigt nach unten.
    »Ich bin ein Gourmet.« Julius schwenkte übermütig seinen Holzlöffel und in diesem Moment kamen Benjamin und Stefan herein und setzten sich zu uns an den riesigen Tisch. Stefan schnappte nach einem Stück Brot und Claire schlug ihm auf die Finger. Es war eine Szene wie aus einer Soap. Fünf gut gelaunte junge Leute, die sich neckten und schlagfertige Bemerkungen austauschten. Warum hatte ich nur am Nachmittag so ein komisches Gefühl gehabt? Ich war eben doch überempfindlich. Oder gefühlsduselig, je nachdem, ob man meiner Mutter oder meinem kleinen Bruder Glauben schenkte.
    »Haut rein, ist nicht scharf«, sagte Julius und stellte das dampfende Chili in die Mitte.
    Kurz nachdem er sich gesetzt hatte, klingelte es.
    »Je später der Abend, desto schöner die Gäste«, witzelte Julius. Stefan stand auf.
    »Und da es ja noch nicht sehr spät ist ...« Claire ließ den Rest des Satzes unausgesprochen im Raum stehen. Es entstand eine unbehagliche Pause. Eine Sekunde lang sah es aus, als ob Julius anfangen würde zu lachen. Ich verzog entschuldigend mein Gesicht, obwohl ich nicht wusste, um wen es hierging. Stefan warf Claire einen wütenden Blick zu. Als er rausging, rempelte er absichtlich ihren Stuhl an, ich konnte es ganz genau sehen.
    »Idiot«, sagte Claire ungerührt und schob ihren Löffel in den Mund.
    Meine Fernsehserienidylle zerplatzte wie eine Seifenblase vor meinen Augen. Ich trank schnell einen Schluck Wasser, das Bier hatte ich unauffällig zur Seite geschoben.
    »Hallöchen«, hörte ich eine hohe Stimme. Ein hübsches, wenn auch stark geschminktes Mädchen in meinem Alter war mit Stefan in der Küche erschienen. Ihre blonden Locken waren zu einer komplizierten Frisur zusammengedreht und überall, wo Platz war, glitzerte Schmuck.
    »Mann, ich sterbe gleich vor Durst!« Sie griff sich das erstbeste Glas vom Tisch – Claires, wie es schien – und trank es aus. Angeregt schnupperte sie. »Hmm. Was gibt's denn Gutes?«
    »Chili«, sagte Julius. »Nun fangt doch an, Leute, es wird kalt!«
    Ich kostete beherzt und fing sofort an zu husten. Es brannte so dermaßen in meinem Hals, dass ich keine Luft bekam. Tränen traten mir in die Augen und ich fuchtelte blind herum, auf der Suche nach meinem Glas.
    Julius lächelte, als ob ihn etwas amüsierte. War es Schadenfreude?
    »Nina.« Plötzlich zeigte er mit seinem Löffel aufmich. »Wohnt ab heute hier. Und das«, er schwenkte in die andere Richtung, »ist übrigens Lauren.«
    »Huhu«, zwitscherte Lauren.
    »Hallo«, erwiderte ich benommen, während mir eine Chili-Träne die Wange hinunterlief.
    Mit Laurens Erscheinen kam der Abend so richtig in Schwung, denn sie plapperte und lachte unentwegt. Nur gelegentlich unterbrach sie sich selbst, um Stefan durch die Haare zu wuscheln oder ihm kleine Küsse zu verpassen. Er ließ es mit einer Art brummiger Geduld geschehen, wobei mir nicht ganz klar wurde, ob es ihm nun gefiel oder nicht. Ab und zu bemerkte ich, wie sein Blick auf mir ruhte, aber jedes Mal, wenn ich ihn ansah, blickte er schnell weg. War irgendwas mit mir?
    Das Chili wurde erstaunlicherweise aufgegessen, alle redeten durcheinander, aber kein Mensch stellte mir eine Frage. Nun hatte ich zwar nicht erwartet, dass man mich mit Aufmerksamkeit überschütten würde, aber merkwürdig fand ich es doch.
    »Was machst du denn eigentlich so?«, wandte ich mich an Julius.
    »Ich rauche Pfeife«, antwortete er und blies sein Streichholz aus.
    Ich schluckte stumm mein Brot hinunter. »Ich meine, was du arbeitest oder studierst.«
    Julius musterte mich kurz, breitete seine Arme aus und schloss genießerisch die Augen. »Das Leben.«
    »Das Leben«, wiederholte ich und beugte micherwartungsvoll nach vorn. Aber mehr kam nicht. Eine Weile lang wartete ich noch geduldig und ein bisschen dämlich, das Glas mit meinen Händen umklammert, aber Julius sagte einfach keinen Ton mehr. Als ich es schließlich aufgab und mich an die anderen wenden wollte, meldete sich Stefans Handy mit dem idiotischsten Klingelton des Jahres. Irgendein total bescheuerter Rapsong. Alle lachten und so
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