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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens
Autoren: Ulrike Rylance
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Keine Gespenster. Ich stieg noch eine Stufe höher. Nichts war zu erkennen, es war zappenduster in der oberen Etage. Ich verrenkte mir fast den Hals. Wie es da wohl aussah? Und dann knackte es wieder laut, genau hinter mir. Ich fuhr herum. Diesmal hatte ich noch ein weiteres Geräusch gehört, ganz leise, aber unmissverständlich. Ein Schlurfen.
    »Hallo?«, flüsterte ich. Meine Stimme war kaum zu hören, als presste jemand eine Hand auf meine Stimmbänder. Ich trat ein Stück zur Seite, um das Mondlicht besser nutzen zu können. Mit lautem Gepolter fiel das Hütchen um.
    Ich fluchte innerlich. Lächerlich, total lächerlich. Der Gedanke, dass irgendeiner der anderen mich hier stehen sehen könnte, mit irrem Blick, auf halbem Weg ins abgesperrte Obergeschoss ... Ich kam zur Besinnung, stellte das orangene Ding wieder auf und huschte durch den Gang zurück. In meinem Zimmer brannte noch Licht. Ich ging hinein und wollte es gerade ausknipsen, als mein Blick an etwas hängen blieb.
    Auf meinem Kissen lag etwas Rotes.
    Meine Kopfhaut fing plötzlich an zu kribbeln. Vorhin hatte da nichts gelegen, das wusste ich ganz genau.
    Ich stand da wie gelähmt. Mein Verstand sagte mir, dass ich zu meinem Bett gehen und nachsehen sollte, um was es sich da handelte. Aber ich konnte nicht.Eine irrationale Angst kroch in mir auf, die Erinnerung an das Knacken und den grinsenden kleinen Teufel flackerte durch meinen Kopf.
    Ich gab mir einen Ruck und ging zu meinem Bett. Verblüfft blieb ich davor stehen. Was in aller Welt ...
    Mitten auf meinem Kissen lag eine der roten Blüten von dem Busch aus dem Garten.

5. Kapitel
    Die Anwaltskanzlei von Wagner & Seibel lag in der ersten Etage eines schick sanierten Mietshauses. Ich stellte mich bei der Sekretärin vor und wartete dann gemeinsam mit einem Ehepaar, das immer wieder aufgeregt miteinander tuschelte. Der Mann hatte nikotingelbe Finger und eine kratzige Stimme wie jemand, der schätzungsweise seit seinem zehnten Lebensjahr Kette rauchte.
    »Das lassen wir uns nicht gefallen!«, schimpfte er dauernd voller Wut, woraufhin ihm seine Frau jedes Mal mit einem ängstlichen »Sch, sch« den Arm tätschelte.
    Ich fragte mich kurz, warum die beiden wohl hier waren. Was sie sich nicht gefallen lassen wollten. Dann kam mir der Gedanke, dass ich es wahrscheinlich demnächst erfahren würde.
    Ich war echt froh über diesen Ferienjob, den mir Onkel Thomas in letzter Minute besorgt hatte. Normalerweise hätte ich sonst wie die meisten aus der Elften den Sommer über in der Keksfabrik unseres Ortes gearbeitet. Aber das brachte ich dieses Jahr nicht fertig. Seite an Seite mit Oliver und Mia, die kaum die Finger voneinander lassen konnten? Ichschüttelte mich unwillkürlich. Lieber nicht daran denken. Lieber auf mein neues, cooles Leben hier in Leipzig konzentrieren – eine Stunde Zugfahrt weit weg vom Anblick meines treulosen Exfreundes ...
    Ich ließ meinen Blick durch den eleganten Raum schweifen. Gierig sog ich alles auf – das Parkett, den modernen Empfangstresen, die unzähligen Bücher, die rot blühenden Kakteen in der Ecke. Kakteen. Schlagartig fiel mir wieder die rote Blume ein. Wer hatte sie mir aufs Kissen gelegt? Ich nestelte nervös an meinem Ohrläppchen herum.
    Dass jemand sie dahin gelegt hatte, stand außer Frage. Denn sonst müsste ich annehmen, dass es in dem Haus spukte – eine Möglichkeit, die ich nicht mal ansatzweise in Betracht ziehen wollte. Ich war schließlich kein Goth-Girl, das von Vampiren träumte.
    Aber wer zum Geier schlich nachts durch den Garten, brach Blüten ab und legte sie mir ins Bett? Und vor allem – warum?
    Heute Morgen hatte ich nur Benjamin kurz getroffen, der, wie sich herausstellte, ebenfalls noch zur Schule ging und an diesem Morgen auch zu einem Ferienjob unterwegs war. Als ich in die immer noch verwüstete Küche gekommen war, hatte er blitzschnell ein Stadtmagazin weggelegt, das er offenbar gerade gelesen hatte.
    »Studierst du die Annoncen?«, hatte ich ihn angesprochenund wieder nur ein erschrockenes Kopfschütteln geerntet.
    Chill out, hätte ich ihm am liebsten zugerufen, ihn dann aber doch nur gefragt, ob er auch einen Tee wollte. Er wollte. Wir hatten uns stumm an dem vollgekrümelten Tisch gegenübergesessen und an den heißen Getränken genippt.
    Schließlich hatte ich das Schweigen nicht mehr ausgehalten.
    »Wieso ist Julius eigentlich der Vermieter?«
    »Wieso? Na, weil ihm das Haus gehört, ganz einfach.«
    Und damit war er plötzlich
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