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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens
Autoren: Ulrike Rylance
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und Zirkusdompteur. Auf beeindruckende Weise schaffte sie es, aus dem Gestammel der Borns einen Fall herauszukristallisieren.Die beiden fielen sich immer wieder ins Wort, Frau Born weinte, ihr Mann schäumte vor Wut.
    »Es ist also nach zwanzig Jahren auf einmal ein neuer Hausbesitzer aufgetaucht, der sie rausschmeißen will, habe ich das richtig verstanden?«, fasste Frau Wagner zusammen.
    »Genau. Eine Bar will der da reinsetzen. Eine Bar!« Herr Born war nun auch den Tränen nahe und streichelte mit seinem gelben Finger sanft über das Foto. Es war klar, dass die Zwergenfamilie den Nachtschwärmern würde weichen müssen.
    »So ein reicher Sack«, knurrte er noch.
    »Wieso?«, erkundigte sich Frau Wagner.
    »Der Mann hat Geld wie Heu und mindestens noch zehn andere Häuser. Objekte nennt der die! Wie kann es auf der Welt so etwas geben, dass ein Mensch so viel Geld hat und deswegen anständige Leute herumschubsen kann, wie er will? Das erklären Sie mir mal.« Hierbei sah er mich vorwurfsvoll an, dabei wohnten meine Eltern doch auch nur zur Miete.
    Ich nickte unwillkürlich. Genau, lieber Herr Born. Und nicht nur das: Wie kann es auf der Welt so etwas geben, dass ein junger Typ wie Julius eine ganze Villa besitzt?
    Die Borns blieben nicht der einzige Fall an diesem Tag. Eine Weile später stieß ich im Empfangsraum der Kanzlei beinahe mit einem Jungen in meinemAlter zusammen. Er trug ein Glas Wasser in der Hand. Offenbar war es für die alte Frau bestimmt, die auf einem Stuhl saß und sich Luft zufächelte.
    »Hallo«, sagte ich. Er musterte mich verblüfft und grinste dann verlegen.
    »Frau Ott?«, hörte ich Frau Wagner hinter mir.
    »Komm, Oma«, sagte der Junge. Mit seinen raspelkurzen dunklen Haaren und der gebräunten Haut sah er echt gut aus und mir gefiel, wie behutsam er mit seiner Oma umging. Trotzdem konnte er nicht verhindern, dass das Glas auf den Boden fiel.
    »Ach, herrje!«, sagte Frau Ott bestürzt.
    »Macht doch nichts.« Ich bückte mich schnell nach dem Glas, zeitgleich mit dem Jungen.
    »Danke, mein Kind«, sagte Frau Ott und schnaufte angestrengt. »Lars, hast du meine Tasche?«
    Lars also. Er kniete mit mir auf dem Boden, sein Gesicht war so nah, dass ich sehen konnte, wie seine Haut sich ein kleines bisschen an der Stirn schälte.
    »Klar, Oma«, sagte er laut. »Bist du Studentin oder so was?«, fragte er mich leise.
    »So was in der Art«, gab ich zurück. Er hielt mich für eine Studentin!
    Lars hob eine wuchtige braune Handtasche vom Stuhl hoch und folgte seiner Oma. Kurz bevor er im Besprechungszimmer verschwand, drehte er sich noch einmal um.
    »Man sieht sich sicher«, sagte er zu mir. Es klang wie eine Frage.
    Ich nickte leicht. Und fand es sehr bedauerlich, dass ich zu dem Stapel von Unterlagen zurückkehren musste, die Frau Wagner in Aktenmappen sortiert haben wollte.
    Danach ging es zu wie im Taubenschlag. Es gab entweder unzählige Leute auf der Welt, die einander aus den verschiedensten Gründen verklagen wollten, oder Wagner & Seibel waren einfach gefragte Topanwälte. Obwohl auch Herr Seibel nicht meinen Vorstellungen vom aalglatten Verteidiger entsprach. Er wirkte wie ein Kaninchenzüchter, mit grauen Löckchen und sanfter Stimme. Offenbar guckte ich zu viele amerikanische Filme. Aber vielleicht war das ja auch Methode. Denn die vielen unglücklichen Leute, die hier auftauchten, schienen sofort Vertrauen zu den beiden zu fassen.
    Frau Wagner lud mich sogar zum Mittagessen ein, denn ich hatte völlig vergessen, mir etwas mitzunehmen. Ich musste unbedingt einkaufen gehen.
    Wir aßen in einem kleinen Café in der gleichen Straße, in der sich die Kanzlei befand.
    »Und, der erste Eindruck?«, fragte Frau Wagner.
    »Total interessant.«
    »Ja, man lernt schon eine Menge Leute kennen. Und natürlich freut man sich, wenn man ihnen helfen kann. Manche sind richtig verzweifelt.«
    »Wie die Borns.«
    Sie nickte. »Genau. Die fühlen sich völlig machtlos. Da kommt irgendeiner daher und verkündetihnen, dass sie ausziehen müssen.« Sie schüttelte missbilligend den Kopf.
    Etwas lag mir auf der Zunge. Ich musste einfach fragen. »Ich habe da einen Bekannten. Der ist noch total jung und bereits Besitzer einer Villa! Was glauben Sie denn, warum ein junger Mann ein so großes Haus haben könnte?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Was weiß ich. Geerbt. Im Lotto gewonnen. An der Börse spekuliert. Was arbeitet der denn?«
    »Das ist es ja – er arbeitet nicht mal. Er ist mein
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