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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens
Autoren: Ulrike Rylance
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konzentrierte ich mich nur noch darauf, das grauenvolle Chili auf meinem Teller hin und her zu schieben. Meine Schultern hatten sich wie von selbst wieder hochzogen.

Den ganzen Abend lang habe ich das Mädchen beobachtet. Habe vor Wut meine Faust so sehr gepresst, dass sich die Fingernägel in mein Fleisch gebohrt haben. Habe mit ihr geredet und mir dabei vorgestellt, wie sie aussieht, wenn sie heult. Winselt. Mich anfleht. Eine schöne Vorstellung.
    Ich habe sie angelächelt.
    Jetzt kann ich sie im Haus hören. Und meine Wut flammt erneut auf.

4. Kapitel
    Vielleicht war es das scharfe Essen, vielleicht die harte Matratze oder das ungewohnt hohe und leere Zimmer, jedenfalls schlief ich unruhig in meiner ersten Nacht. Wahrscheinlich war ich einfach nur nervös, am nächsten Tag sollte ich ja meinen Job anfangen. Oder war es der etwas seltsame erste Abend, den ich immer wieder wie einen Film in meinem Kopf ablaufen ließ?
    Mehrmals wurde ich wach. Anfangs waren es die kichernden Geräusche von irgendwoher im Haus, vermutlich Stefan und Lauren, später war es die eigenartig sphärische Musik, die irgendjemand spielte. Ich dämmerte jedes Mal wieder weg. Dann wachte ich abermals auf, diesmal mit einem Ruck. Etwas hatte ganz laut geknackt. Ich knipste die kleine Lampe über meinem Bett an und setzte mich. Nichts war zu sehen. Natürlich nicht. Die großen Vorhänge am Ende des Zimmers bauschten sich leicht. Ich hatte am Abend das Fenster neben der Flügeltür angekippt, um frische Luft hereinzulassen. Jetzt aber fiel mir auf, wie kühl es war. Ich stand auf, um die Steppdecke aus dem Schrank zu holen, für die ich meiner Mutter insgeheim dankbare Abbitte leistete – daknackte es wieder. Es kam von draußen, direkt vor meinem Fenster. Was zum Teufel war das? Zum Teufel ... Die blöde Steinfigur fiel mir ein. Ich wickelte die Decke um mich, ging vorsichtig zum Fenster, lüpfte die Gardine ein winziges Stück und starrte angestrengt hinaus. Da war nichts, absolut nichts, nur die Gartenbank im Mondschein. Nach oben schaute ich nicht. Ich brachte es einfach nicht fertig, mir im Dunkeln das fratzenhafte Gesicht anzutun.
    Du meine Güte, was war nur mit mir los? Wenn mich jetzt jemand hätte sehen können – eingewickelt wie eine Motte im Kokon, mit groß aufgerissenen Augen, stand ich in der ersten Nacht meiner neuen Freiheit am Fenster und hatte Angst vor meinem eigenen Schatten!
    »Dumme Kuh«, sagte ich leise und ging wieder ins Bett, aber es war zwecklos, ich war mittlerweile hellwach. Ich musste mal.
    Im Dunkeln tapste ich aufs Klo, den Lichtschalter konnte ich nicht finden, und danach in die Küche, um ein Glas Wasser zu trinken. Dort sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Die Teller standen noch auf dem Tisch, in der Mitte die Schüssel, in der eingetrocknete Chilireste wie geronnenes Blut klebten, und ein voller Aschenbecher. Ich würde das ganze Zeug hier bestimmt nicht aufräumen – schon gar nicht mitten in der Nacht.
    Trotz des chaotischen Zustands wirkte die Küche seltsam steril. Außer dem Bierposter hingen nirgendwoirgendwelche Zettel oder Fotos, es lagen keine Briefe oder alte Zeitungen rum ... Vor etwa einem Jahr hatte ich mal mit Nadja ihren Freund in seiner damaligen WG besucht. Es war eine reine Jungs-WG und entsprechend zugemüllt, aber trotzdem gemütlich. In der Küche, so erinnerte ich mich jetzt, hatte eine Couch gestanden, auf der dauernd eine dicke Katze schlief. Überall waren dort Spuren der Bewohner zu finden gewesen, von den dreckigen Turnschuhen auf dem Boden bis hin zu einem Surfbrett, das im Flur an der Decke hing, und den Bücherstapeln, die überall herumstanden.
    Nicht so hier. Das Einzige, was ich entdeckte, war eine Bibliothekskarte, die auf dem Fußboden lag. Halb unter dem Mülleimer, als hätte jemand beim Wegwerfen nicht richtig gezielt. Julius Behnisch stand darauf.
    Blieb hier jeder mehr für sich allein? Und wenn – war das nun gut oder schlecht?
    Ich gähnte und beschloss, es noch einmal mit Schlafen zu versuchen. Es war 3.30 Uhr und ich wollte ja nicht an meinem ersten Arbeitstag wie ein Zombie mit Augenrändern in der Kanzlei auftauchen. Ich ging leise durch die immer noch dunkle Halle. Links von mir ging die Treppe hoch, in deren Mitte jetzt das Verkehrshütchen wie ein kleiner Leuchtturm stand und den Schein einer Straßenlaterne reflektierte. Ich stieg vorsichtig die ersten vier Stufen hinauf und blinzelte angestrengt nachoben. Baufällig, hatte Julius gesagt.
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