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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens
Autoren: Ulrike Rylance
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aufgesprungen, hatte erschrocken auf seine Uhr geblickt wie das Kaninchen aus Alice im Wunderland , den restlichen Tee in den Ausguss gekippt und den Raum fluchtartig verlassen, noch bevor ich die rote Blume hatte erwähnen können.
    Nach seinem Aufbruch war ich ein bisschen durch das morgenstille Haus geschlendert. Niemand sonst war zu sehen, aber eine Tür war nur angelehnt gewesen. Benjamins Zimmer. Ich wusste ja, dass man so was nicht macht, aber dennoch stieß ich sie ein Stück weiter auf und warf einen schnellen Blick hinein. Benjamin schien ziemlich ordentlich zu sein. Nichts lag herum, sogar sein Bett hatte er gemacht, es war nicht zu fassen. Was mich aber am meisten verblüffte, waren die Bilder an den Wänden. Lauter Fotocollagen, bei denen ein großes Bild aus winzigkleinen Fotos zusammengesetzt war. Direkt neben mir hing das Porträt von irgendeinem Basketballstar, sein Gesicht war aus winzigen Fotos von Bällen komponiert. Ich hatte noch nie in meinem Leben so etwas Tolles gesehen. Hatte Benjamin das etwa selbst gemacht? Irgendwo klingelte ein Wecker und ich huschte zurück in die Küche. Dort lag immer noch die Zeitschrift auf dem Tisch, die er in seiner Eile hatte liegen lassen. Ein Blatt hatte sich geknickt und zeigte die Seite an, die er gelesen hatte. Der Veranstaltungskalender. Rubrik: Bars und Clubs. Benjamin wollte also ausgehen? Warum diese Heimlichtuerei?
    Und die Villa gehörte Julius?
    Benjamins Antwort hatte mich nicht weitergebracht.
    »Nina Bachmann?«
    Eine rundliche Frau um die fünfzig erschien jetzt in der Tür. Sie hatte ein freundliches Gesicht, trug ein dunkelrotes Kostüm und streckte mir die Hand entgegen.
    »Andrea Wagner. Sie werden in den nächsten Wochen mit mir zusammenarbeiten.«
    Das war Rechtsanwältin Wagner, die Rächerin der Unschuldigen? Leise Enttäuschung machte sich in mir breit. Frau Wagner sah mehr aus wie eine Grundschullehrerin.
    Sie wandte sich an das Ehepaar. »Herr und Frau Born, nehme ich an? Wir haben telefoniert. GehenSie doch bitte schon ins Besprechungszimmer, wir sind in einer Minute bei Ihnen.«
    Wir? Hatte sie wir gesagt? Offenbar bemerkte sie mein erstauntes Gesicht. »Sie wollen doch sicher nicht nur kopieren und Kaffee kochen, oder?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein, auf keinen Fall.«
    »Na bestens. Ich bin nämlich ein Fan von praktischer Erfahrung. Da merkt man sich alles viel besser.« Sie griff in ein Fach, holte ein Blatt Papier heraus und reichte es mir. »Aber zu diesem Zweck müssten Sie erst noch etwas unterschreiben.«
    Neugierig las ich, was darauf stand: Schweigepflichtserklärung.
    »Sie verstehen, dass Sie mit niemandem über die Fälle reden dürfen, mit denen Sie zu tun haben werden?«
    Ich nickte voller Ehrfurcht. Schweigepflicht klang spannend, genau wie ich es mir vorgestellt hatte. Flink kritzelte ich meine Unterschrift auf das Blatt.
    »Dann wollen wir mal. Hören Sie einfach nur zu. Wenn die beiden weg sind, werde ich Ihnen hier alles zeigen.« Frau Wagner schob mich in ein Zimmer, in dem das Ehepaar Born schon an einem runden Tisch saß und uns erwartungsvoll ansah, als wir hineinkamen.
    Herr Born war so erbost, dass es einige Minuten dauerte, bis man seinem Gezeter einen vernünftigen Satz entnehmen konnte. Seine Hände schienen zugrob und zu groß für den kleinen Tisch zu sein und ein ziemlich stümperhaft tätowierter Adler verzierte seinen Arm.
    »Ich sage Ihnen, dieser verdammte Mistkerl, der kommt mir nicht damit davon. Rausschmeißen will der uns, rausschmeißen!«
    »Holger ...«, unterbrach ihn seine Frau und warf uns entschuldigende Blicke zu. »Nun erzähl doch der Frau Anwalt alles der Reihe nach!«
    »Wer möchte Sie denn rausschmeißen?«, fragte Frau Wagner geduldig.
    »Dieser blöde Wessi! Seit zwanzig Jahren wohnen wir in der Wohnung, alles habe ich dort gemacht, sogar den Garten angelegt, sehen Sie doch nur!«
    Ohne Vorwarnung zerrte er seine Brieftasche heraus und klappte sie auf. Zu sehen war ein leicht vergilbtes Foto von einer Art Steingarten, in dessen Mitte eine stattliche Sammlung rotwangiger Gartenzwerge stand. Einer hielt sich an einer Schubkarre fest.
    »Hübsch«, sagte Frau Wagner. Meine Mundwinkel begannen verräterisch zu zucken, doch plötzlich begann Frau Born, herzzerreißend zu schluchzen. Ich schämte mich sofort. Und außerdem begriff ich etwas: Frau Wagner mit einer gutmütigen Grundschullehrerin zu vergleichen war absolut hirnrissig. Eher war sie eine Mischung aus Polizeihund
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