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Villa des Schweigens

Villa des Schweigens

Titel: Villa des Schweigens
Autoren: Ulrike Rylance
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Schottland? Ich trat näher. Der Kalender war von diesem Jahr und jemand hatte noch Anfang Juli »Zahnarzt« hineingekritzelt.
    »Geht so«, antwortete Claire. »Man ist nie gut genug. Ich werde übrigens meistens in der Hochschule üben«, ergänzte sie schnell. Offenbar hatte sie Angst, dass mich ihr ständiges Klaviergeklimper davon abhalten würde, dieses unglaubliche Zimmer zu mieten. Sie hatte ja keine Ahnung. Aber die Sache mit der Miete ließ mir keine Ruhe.
    »Weißt du, warum das Zimmer plötzlich billiger ist?«, fragte ich.
    Claire zuckte mit den Schultern. »Julius hat heute mal einen guten Tag«, war ihre schlichte Erklärung. Ich fand es immer noch komisch, beschloss aber, nicht weiter darüber nachzudenken. Das hier war die Chance meines Lebens. Wenn meine Eltern dieses Zimmer hätten sehen können! Ihren Gesichtern beim Abschied nach zu urteilen, hatten sie mich wohl schon heulend in einem Abrisshaus oder auf der Straße sitzen gesehen. Ich schob die Vorhänge zur Seite und öffnete die Flügeltüren. Sofort drang warme Sommerluft herein. Genau vor meinem Fenster war eine Terrasse, ein Stück weiter weg standeine Steinbank unter einem alten Baum. Dazwischen verwilderter Rasen, auf den die Sonne herunterschien. Es war zu schön, um wahr zu sein.
    Ich atmete den Geruch von Sommer und Gras ein und wollte gerade die Tür wieder schließen, als ich etwas bemerkte. Mitten auf dem Rasen warf etwas einen seltsamen Schatten. Es sah aus wie ein Rumpf mit Kopf.
    »Was ist das denn?«, fragte ich Claire.
    Sie zeigte nach oben. Genau über meinem Fenster saß eine weitere kleine Steinfigur, dem bizarren Engel nicht unähnlich. Nur dass diese hier eindeutig einen Teufel darstellen sollte.
    »Der kleine Bruder vom Engel«, sagte ich überrascht.
    »Genau.« Claire grinste. »Da hat irgendein Architekt Anfang des letzten Jahrhunderts seinen schlechten Geschmack verewigt. Bei Sonnenschein wirft das gute Stück immer seinen Schatten auf das Gras.«
    »Nett«, sagte ich.
    Wir lachten beide. Dann machte ich ein paar Schritte nach links, an der Hauswand entlang. Hier war ein schmaler, sandiger Pfad. »Wo geht's da hin?«
    »Nur zum Zaun. Du musst aufpassen, da hinten ist ein Ameisenhaufen. Lieber nicht barfuß laufen.«
    Ich nickte, ging zurück ins Zimmer, machte langsam eine halbe Drehung und öffnete entschlossen den Mund.
    »Du kannst mit dem Zimmer machen, was duwillst«, kam Claire mir zuvor. »Dem Vermieter ist das egal.«
    Ich nickte. »Ich würde es gern nehmen, wenn das okay ist.«
    »Natürlich«, sagte Claire.
    »Was ist mit den Möbeln und so?«, fragte ich und sah zu dem Kalender hin. »Holt das noch jemand ab? Oder bleibt das hier?«
    »Kannst du alles nehmen. Das Zeug gehört Jette. Die macht ein Auslandssemester in Schottland und kommt erst mal eine Weile lang nicht wieder.«
    Na, umso besser. Claire zog mit einem kräftigen Ruck an der Flügeltür.
    »Hier musst du Gewalt anwenden, die schließt nicht mehr richtig.« Sie zerrte erneut und die Tür blieb zu. Ich folgte ihr zurück ins Haus und warf dabei einen Blick in ein altmodisches Bad mit frei stehender Badewanne. Wir landeten in einer geräumigen Küche, in der man ein ganzes mittelalterliches Heer hätte bekochen können. In der Mitte stand ein großer Holztisch, auf dem Küchenregal mehrere Tassen mit witzigen Sprüchen. An der Wand hing ein Poster mit altmodischer Bierwerbung. Auch von hier gingen Flügeltüren zur Terrasse hinaus. Meine Mutter hätte sich nicht mehr eingekriegt vor Bewunderung. Am Tisch saß Julius und nuckelte an einer Pfeife. Der Geruch. Natürlich, es war Pfeifentabak, warum war ich nicht gleich darauf gekommen?
    Neben ihm saß ein schwarzhaariger Junge, dermir verlegen zunickte und sich dann sofort wieder über einen Hefter beugte.
    Ein dritter Junge stand an der Kaffeemaschine und hielt eine Blechdose hoch.
    »Kaffee?«, fragte er in meine Richtung.
    »Nein danke. Lieber was Kaltes.« Ich bemühte mich darum, ihn nicht anzustarren. Blonde Haare, hübsches Gesicht mit dunklen Augen, die mir unmerklich zuzwinkerten. Schlank und muskulös. Ich würde mit dem Traum aller Bravo-Leserinnen in einem Haus wohnen.
    »Haben wir auch, kein Problem. Cola, Wasser?«
    »Wasser ist super, danke.«
    Er lächelte mich an und schenkte mir ein.
    »So«, begann Julius. »Wie sieht's denn aus?«
    »Ich würde das Zimmer gern bis Ende August nehmen«, sagte ich. »Wenn das mit eurem Vermieter klargeht.«
    Aus irgendeinem Grund brachen sie alle
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