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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
Autoren: Ines Kiefer
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mittlerweile gewöhnt, und so heißt ja auch Tim. Aber dann würde unser Baby Müller heißen und ich Kiefer. Tim wollte, dass wir alle Kiefer heißen. Das gefiel Thomas weniger. Schließlich beschlossen wir, dass ich Kiefer-Müller heißen würde, ein Kompromiss, mit dem alle zufrieden waren.

Erik ist da!
    Tim und Thomas brachten mich am 10. Juni 2010 morgens in die Uniklinik in Homburg. Im Anschluss fuhr Thomas Tim in den Kindergarten. Ich wurde für den Kaiserschnitt vorbereitet. Als Thomas zurückkehrte, ging es los. Ich wusste, was mir blühte. Aber was ich ausgeblendet hatte: die Nadeln. Erst beim vierten Mal traf der Arzt meine Vene für den Zugang. Zweimal die linke Hand, einmal die rechte, im linken Arm hatte er dann endlich Erfolg. Und mir reichte es. Wie beim ersten Mal herrschte Bahnhofsatmosphäre. Der grüne Vorhang wurde zugezogen, Thomas saß neben mir, und dann ging es ruck, zuck.
    Erik! Willkommen! Kurz durfte ich das schönste Baby der Welt sehen, dann war es weg. Thomas hinterher. Ich allein. Das Zunähen dauerte. Ich vermisste den unterhaltsamen Anästhesisten. Ich vermisste Erik. Und Thomas. Ich heulte. Ich wollte mein Baby spüren, sehen, riechen, schmecken, hören, liebkosen. Allein lag ich auf der Wachstation. Zum Glück war meine Freundin Katrin bei mir, Eriks Patentante. Sie und Thomas brachten mir nach und nach schonend bei, dass es noch eine Weile dauern würde, ehe ich Erik in die Arme schließen durfte. Als ich erfuhr, wie lange, drehte ich schier durch. 24 Stunden sollte ich mein neugeborenes Kind nicht bei mir im Zimmer haben dürfen. 24 Stunden! Als sogenanntes Spaltkind musste Erik in der Kinderklinik gründlich untersucht werden. Was für eine herzlose Vorschrift! Erik war kerngesund. Sein Gaumen war geschlossen. Allein eine winzig kleine Kerbe an der Oberlippe, die kaum auffiel und in einem halben Jahr operativ entfernt würde, brachte er mit auf die Welt.
    Von der Kerbe wussten wir seit der Ultraschalluntersuchung in der 19. Schwangerschaftswoche. Thomas hatte mich darauf vorbereitet: Die Wahrscheinlichkeit, dass eine Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte vererbt wird, liegt bei fünf Prozent. Das war mir immer egal. Ich wollte den Mann und das Kind und war nun überglücklich, dass die Spalte nur eine Minikerbe war. Gleichzeitig war ich verzweifelt. Man hatte mir das Kind aus dem Bauch geschnitten, und jetzt lag ich allein irgendwo. Wenn ich heute an diese Stunden zurückdenke, kriege ich noch immer Gänsehaut. Auch für Thomas, der zwischen Kinderklinik und Wachstation hin- und hereilte, war es grausam. Er flehte und bettelte, doch es gab kein Erbarmen. Erik, obwohl gesund und munter bis auf diese kleine optische Besonderheit, wurde nicht freigelassen.
    »Schau, ich hab ihn fotografiert!« Thomas hielt mir sein Handy vor die Augen.
    »Ich will kein Foto, ich will mein Baby!«, heulte ich.
    Tim war auch sehr traurig. Für kleine Kinder gilt Besuchsverbot in der Kinderklinik. Dabei hatten wir ihm versprochen, dass er seinen Bruder gleich sehen dürfte. Ich musste mich sehr zusammenreißen in diesen qualvollen Stunden des Wartens.
    Eine schöne Geburt hatte ich mir anders ausgemalt. Körperlich merkte ich deutlich, dass ich fünf Jahre älter war als bei Tims Geburt. Die Nachwehen nahm ich unangenehm wahr. Mein Bauch krampfte. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, dass Wehen schweineweh tun.

Glück im Doppelpack
    Endlich konnte ich meinen kleinen Erik in die Arme schließen, und er durfte bei mir bleiben. Jetzt gab ich ihn nicht mehr her!
    Tim grinste über das ganze Gesicht, als er seinem Bruder vorsichtig über die Backe streichelte. Bis heute ist Tim von seinem Bruder begeistert. Er behandelt ihn zärtlich und erzählt ihm Sachen, die der kleine Erik noch gar nicht verstehen kann – oder doch? Manchmal kommt es mir so vor, als würden die beiden auf eine geheime Art und Weise kommunizieren. Sobald Erik im Laufstall quietscht, springt Tim auf, der genau weiß, was Erik jetzt möchte. Den Schnuller? Die Rassel? Alle meine Bedenken waren umsonst. Tim zeigte keine Eifersucht. Thomas und ich geben uns natürlich auch Mühe, ihn nicht zu benachteiligen – doch mit einem Säugling im Haus gerät gelegentlich alles in Schieflage. Erik findet seinen Bruder ebenfalls klasse. Sobald Tim etwas erzählt, kräht er vor Begeisterung. Ich freue mich heute schon darauf, wenn die beiden Jungs miteinander spielen.
    Seit Erik auf der Welt ist, kommt Tim mir so groß vor. Bald geht er in die Schule!
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