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Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)

Titel: Das Glück geht nicht zu Fuß: Wie mein Leben ins Rollen kam (German Edition)
Autoren: Ines Kiefer
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korrigierte ich und wies auf Sita, die sofort loswedelte.
    »Und wie ist das für dich?«, fragte Thomas. Sehr weich klang seine Stimme, und ich wusste sofort, was er meinte, denn wir hatten zuvor lange darüber gesprochen, wie ich den Alltag schaffen sollte mit zwei Kindern.
    »Es wird so sein wie mit Tim«, erwiderte ich. »Natürlich würde ich gerne mit Tim rumrennen und Fußball spielen. Natürlich würde ich gerne – ach alles! Aber ich denke nicht darüber nach. Denn wenn ich anfange, darüber nachzudenken, liege ich den ganzen Tag im Bett und heule.«
    »Ja, das möchte ich auch mal können, so wie du«, gestand Thomas. »Ich kann die Dinge, die mich belasten, nicht so einfach wegschieben.«
    »Aber sie belasten mich ja gar nicht«, grinste ich. »Ehe sie das tun können, habe ich sie schon verdrängt.«
    »Du bist mir ein Rätsel«, neckte Thomas mich.
    »Glaub bloß nicht, das Wegschieben wäre nicht anstrengend«, sagte ich. »Es erfordert eine Riesenkraft, die Tage zu bewältigen, weil ich unglaublich viel verdrängen muss. Ich kann nicht schnell aus dem Auto springen und Tim im Kindergarten abgeben. Ich kann im Ministerium nicht mal schnell bei einer Kollegin vorbeilaufen und eine Akte holen, besonders nicht, wenn die Kollegin ein Stockwerk höher sitzt. Ich kann nicht mal eben was einkaufen. Bei mir ist alles schwerfällig, träge, kompliziert, umständlich.«
    »Noch mehr Rätsel«, seufzte Thomas. »So was von schwerfällig und so was von hübsch.«
    »Du nimmst mich nicht ernst!«, beschwerte ich mich, obwohl ich wusste, dass das nicht stimmte.
    Thomas küsste mich.
    »Was ich sagen will«, fuhr ich fort. »Es ist ein täglicher Kraftakt. Jede Kleinigkeit, über die sich ein Fußgänger gar keine Gedanken macht.«
    »Aber das weiß ich doch, Ines. Vielleicht verstehst du jetzt auch mal, warum ich mir manchmal ein wenig Sorgen um unsere Zukunft mache. Eben weil es ein Kraftakt ist.«
    »Ach Papperlapapp«, widersprach ich. »Ein Kind mehr oder weniger!«
    Thomas applaudierte.
    »Was soll das?«, fragte ich.
    »Du bist schneller im Verdrängen, als ich denke und rede!«
    »Das ist doch wohl nichts Neues?«, neckte ich ihn und bekam zur Strafe einen liebevollen Knuff. Später legten wir unsere Hände auf meinen Bauch und horchten, ob es Neuigkeiten gab.

Das Paradies ist normal
    M eine Oma mütterlicherseits ist meine einzige nächste Verwandte, die zwei Kinder hat. Die anderen in der Familie haben ein Kind oder fünf.
    »Sag mal«, fragte ich meine Oma am Telefon, »wie ist das mit zwei Kindern?«
    »Zwei Kinder bedeuten doppelte Arbeit«, raubte meine Oma mir die Hoffnung. Genau das hatte ich nicht hören wollen. Mir schwebte eher so etwas vor wie: »Ach, zwei Kinder beschäftigen sich mit sich selbst, das ist eine große Erleichterung.« Von wegen! Doppelte Arbeit – wie sollte ich das bloß auf die Reihe kriegen!
    »Das schaffst du schon, Ines«, sagte meine Oma, als hätte sie meine Gedanken gelesen. Und sie hatte sie wahrscheinlich wirklich gelesen, denn sie beantwortete eine Frage, die ich noch gar nicht gestellt hatte: »Als deine Tante zur Welt kam, habe ich sie vom ersten Moment an genauso liebgehabt wie deine Mutti.«
    »Danke, Oma«, flüsterte ich berührt. Denn das beschäftigte mich – wie die meisten Mütter, die ein zweites Kind erwarten: Wie sollte es gelingen, dieses zweite genauso zu lieben wie das erste? Eine Frage, die sich beim ersten Blickwechsel mit dem Neugeborenen in Luft, nein, in Liebe auflöst, wie ich nun weiß.

    Ich hegte keine Befürchtung, die Bedürfnisse eines Säuglings nicht erfüllen zu können. Ich wusste, dass ich es konnte. Tim war nun schon fast fünf, ein aufgeweckter, munterer, frecher und sehr lieber Junge. Niemand merkte ihm an, dass seine Mutter im Rollstuhl saß. Doch wie würde Tim auf seinen Bruder reagieren? Würde er unter Eifersucht leiden? Würde ich ihm trotz des Säuglings noch genügend Aufmerksamkeit widmen können? Hatte ich mir das wirklich alles gut genug überlegt? War ich denn verrückt, mit einem Baby noch mal von ganz vorne anzufangen? Ich war doch schon so weit gekommen. Alles hatte sich perfekt eingespielt. Wie würde sich unser Familienleben verändern? Waren wir den bevorstehenden Aufgaben überhaupt gewachsen? Meine schlimmste Vorstellung sah ungefähr so aus:
    Nachts und mit Augenringen, die sich bis zu meinen Mundwinkeln ziehen, die natürlich nach unten hängen, habe ich es nach Stunden endlich geschafft, den schreienden
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