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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1
Autoren: Émile Zola
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in der zarten Liebe zwischen Silvère und Miette durch das politische Ereignis ausgelöst wird – der nähere Zusammenhang bleibt vorläufig noch im dunkeln –, erlebt der Leser dieses politische Ereignis zunächst nur durch das Prisma der privaten Tragik, die eine dumpfe Vorahnung von der objektiven Tragik aufkommen läßt, zugleich von vornherein die Anteilnahme des Lesers für die Aufständischen gewinnt. In den nächsten drei Kapiteln holt Zola dann weit aus. Im zweiten beschreibt er zunächst Plassans, seine Stadtviertel und Straßen, seine Bevölkerung und ihre Gepflogenheiten, erzählt die Anfänge der Familie, des legitimen Zweiges der Rougons, des illegitimen der Macquarts, springt dann zurück ins Jahr 1848, kennzeichnet kurz die Position der Rougons und faßt am Ende des Kapitels ihre Situation mit einem die kommenden Ereignisse vorbereitenden Satz zusammen: »Die Revolution von 1848 traf also alle Rougons in erwartungsvoller Spannung, verzweifelt über ihr Mißgeschick und gewillt, dem Glück Gewalt anzutun, falls sie es jemals an einer Wegbiegung treffen sollten. Sie waren eine Familie von Wegelagerern im Hinterhalt, bereit, die Ereignisse rücksichtslos auszunutzen.« Eine streng dreigliedrige Struktur, die sich im nächsten und übernächsten Kapitel wiederholt, nur daß die Erzählung hier bis zum Stichtag des Anfangskapitels vorgeschoben und unmittelbar in die Handlung übergeführt wird. Denn nachdem Zola im dritten Abschnitt die politische Vorgeschichte von Plassans, die Jahre 1848 bis 1851, mit der Gründung des gelben Salons und der beginnenden politischen Aktivität der Rougons berichtet hat, läßt er den Leser die Vorgänge bei den Rougons vom Staatsstreich bis zu dem verhängnisvollen Sonntag unmittelbar miterleben. Durch dieses Überwechseln aus dem Bericht in die meist dialogisierte Darstellung entgeht Zola der Gefahr, daß die Masse der chronikartigen Teile die Lebendigkeit der eigentlichen Erzählung erstickt. Mit der von Sicardots Diener überbrachten Nachricht: »Die Aufständischen werden in einer Stunde hier sein!« (denen Pierre dann auf der Flucht zu seiner Mutter tatsächlich zu begegnen glaubt) gewinnt Zola wieder den Anschluß an das Einleitungskapitel und kettet die einzelnen Teile innerlich aneinander. Diese Übergänge herzustellen ist eines der schwierigsten künstlerischtechnischen Probleme. Zola meistert es glänzend. Denn im vierten Kapitel, wo die Erzählung noch einmal zurückschwingt und in zwei zunächst parallelen und dann miteinander verflochtenen Abschnitten die Geschichte von Antoine und Silvère, den beiden Akteuren der Macquartlinie, von den Anfängen bis zum Staatsstreich berichtet, werden beide Fäden bis zu dem gleichen Zeitpunkt, Sonntag abend in Plassans, weitergesponnen: Macquart sucht sich die Situation zunutze zu machen und seinen Bruder Pierre zu verhaften, als im gleichen Augenblick der Zug der Aufständischen mit Silvère und Miette an der Spitze in Plassans einzieht und auf dem Marktplatz ankommt. Für einen Augenblick sind alle Teile miteinander verknüpft, um jedoch in den nächsten Kapiteln wieder auseinanderzugehen, wie es bei dem um zwei verschiedene Zentren gruppierten eigentlichen menschlichen Drama nicht anders sein kann. Noch dazu sind beide Teile auch ihrem Charakter, ihrem Gehalt nach grundverschieden: Der zarten, duftigen, gleichsam nur hingehauchten idyllischen Liebesgeschichte steht die handfeste, scharfe, beißende Satire des gelben Salons gegenüber. Selbst die verwandtschaftlichen Beziehungen vermögen hier nur lose Verbindungen zu schaffen. Nur auf der Ebene des politischen Geschehens treffen die beiden Handlungen zusammen. Dadurch wird aber umgekehrt gerade erst die innere Einheit zwischen Familiengeschichte (und medizinischer Studie!) einerseits und der Darstellung eines historischen Zeitalters andererseits erreicht.
    Noch muß Zola zur Vervollständigung der Liebesidylle das Leben Miettes berichten. Im fünften Kapitel, das Zug und Untergang der Aufständischen und den Tod Miettes schildert, gleitet die Erzählung noch einmal zurück. Wieder ist der doppelte Übergang aus der Gegenwart in die Vorgeschichte Miettes und ihrer beiderseitigen Liebe und aus der Vergangenheit zurück in die Gegenwart mit raffiniertester Kunst ausgeführt. Im Dunkel der Nacht geborgen, kosten Silvère und Miette noch einmal und zugleich zum erstenmal bisher unbekannte Wonnen des Beisammenseins, entdecken sie den Schauer eines Kusses, und von diesem
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