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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1
Autoren: Émile Zola
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der menschlichen und schöpferischen Mitte Zolas, so erscheint er einmal als der Citoyen, dem Recht und Gerechtigkeit alles bedeuten, »l˜homme au Dreyfus« – wie einst dem Pariser Volk der nach Jahren der Abwesenheit in seine Heimatstadt zurückkehrende greise Voltaire »l˜homme au Calas« gewesen war, ein Beiname, in den alle Bewunderung der Menge für ein Leben des Kampfes gegen Unduldsamkeit und geistige Verdummung einströmte –, und zum zweiten als der Naturalist, anerkanntes Oberhaupt einer literarischen Schule, die erst durch sein Schaffen Gesicht und theoretische Fundierung gefunden hatte, »l˜homme aux RougonMacquart«, der Schöpfer jener Romanreihe, in der sein ästhetisches Credo Gestalt gewann.
    Wenn man die Stellung, die »Das Glück der Familie Rougon« in dieser Reihe einnimmt, bestimmen will, muß man sich zwei Tatsachen vor Augen halten: erstens, daß dieser Roman als erster Band gleichsam an der Wende steht zwischen dem Zola der Jugendjahre, Autor der »Thérèse Raquin«, der »Beichte Claudes«, und dem Zola des »Totschlägers«, der »Nana«, des »Tiers im Menschen« – ein Zola, der sich seines literarischen Weges bewußt geworden ist; und daß dieser Roman zweitens bereits vor dem Sturz des Kaiserreiches, das Zola als historische Periode gewählt hatte, geschrieben wurde, im Gegensatz zu den anderen neunzehn Bänden. Der Gedanke liegt nahe, Auswirkungen dieser besonderen Bedingungen im Roman selbst, seiner Konzeption, seinem Aufbau, seinen stilistischkünstlerischen Mitteln, vor allem aber in seinem Zusammenhang mit den übrigen Bänden der Reihe zu suchen. Zwar sagt Zola in dem vom 1. Juli 1871 datierten Vorwort zur Buchausgabe des »Glücks der Familie Rougon«, daß in seiner Vorstellung der Zusammenbruch des Kaiserreichs schon immer als notwendige künstlerische Lösung vor seinem geistigen Auge gestanden habe; aber aufmerksam gemacht durch den leicht triumphierenden Ton, in dem Zola die historische Bestätigung seines künstlerischpolitischen Weitblicks mitteilt, darf man zumindest fragen, ob dieses Ereignis auf den ursprünglichen Entwurf tatsächlich ohne Einfluß blieb.
    Zola selbst hat während der ganzen Zeit seiner Arbeit an den »RougonMacquart« die unveränderte, kontinuierliche Ausführung des einmal gefaßten ersten Planes betont. In einem Brief vom 6. Januar 1878 an den Chefredakteur des »Bien Public« verteidigte sich Zola gegen die Angriffe einiger Kritiker, die ihm Aktualitätshascherei vorwarfen, mit dem Hinweis auf den von ihm vorher festgelegten Plan, den er lediglich Jahr für Jahr gewissenhaft erfülle. Als Beleg übergab er einen Stammbaum seiner Familie Rougon Macquart aus dem Jahre 1868 zur Veröffentlichung. Dieser Stammbaum, hob Zola hervor, enthalte bereits alle Personen, die in den späteren Romanen erscheinen sollten. Auch wenn der soziale Schauplatz ihres Auftretens im einzelnen natürlich noch nicht festgelegt sei, fänden sich darin doch die für den Gesamtaufbau und die innere Einheit des Werkes wichtigsten Angaben, wie Lebensdaten und kurze erbgeschichtliche Charakteristiken. Danach waren die »Rougon Macquart« eine wissenschaftliche, speziell medizinisch orientierte Studie über das Wirken der Erbgesetze, dargestellt an den Vertretern einer Familie bis zum dritten und vierten Glied.
    Sollte dies wirklich das Wichtigste sein? Fast könnte es so scheinen, wenn man zu den medizinisch biographischen Angaben des Stammbaums die ebenfalls auf das medizinische Interesse hinweisenden Darlegungen der ersten Arbeitsnotizen über die künstlerische Zielsetzung der Reihe hält sowie den Titel des Gesamtzyklus – Natur und Sozialgeschichte einer Familie unter dem Zweiten Kaiserreich. »Ich studiere Ehrgeiz und Gelüste einer Familie, die auf die moderne Welt (le monde moderne) losgelassen wird, übermenschliche Anstrengungen macht und wegen ihrer Erbanlage und der auf sie einwirkenden Einflüsse nicht arriviert, im Augenblick, da sie ihr Ziel erfolgreich erreicht, zurückfällt und schließlich richtige moralische Ungeheuer hervorbringt (den Priester, den Mörder, den Künstler). Die Zeit (le moment) ist wirr, folglich zeichne ich die Wirrnis der Zeit. Also zwei Elemente: erstens das menschliche Element, das physiologische Element, das Wissenschaftliche Studium einer Familie mit den Verflechtungen und unvermeidlichen Auswirkungen der Vererbung; zweitens der Einfluß der modernen Zeit (moment moderne) auf diese Familie, ihre Zerrüttung (détraquement)
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