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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1
Autoren: Émile Zola
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Zolas Hinwendung zur mechanischmaterialistischen Gesellschaftslehre noch deren Bedeutung für sein Schaffen erklärt.
    Wenn man die polemische Distanzierung gegenüber Balzacs Methode in Rechnung stellt, bekommt die zweite Aufgabe: »den Einfluß der modernen Zeit (le moment) auf diese Familie zu studieren, … die soziale und physische Einwirkung der verschiedenen Milieus« herauszuarbeiten, eine Aufgabe, die Zola anfangs beinahe verschämt nur als Hilfselement für die Lösung der ersten, physiologischen einzuschmuggeln gewagt hatte, ein ganz anderes Gewicht. Für diese soziale Studie, für diese Geschichte der Zeit in der Zeit, wie sie schon Balzac geschrieben hatte, mußten die Peripetien des historischen Prozesses von entscheidender Bedeutung werden.
    Denn die Epoche, seine Epoche, die brennende, Darstellung heischende Gegenwart, ist zu dem Augenblick, da diese Gedanken in Zola reifen, noch das an der Macht befindliche Kaiserreich. Daß seine Familiengeschichte nur in ihm spielen könne, ist für ihn so selbstverständlich, daß er es zunächst gar nicht ausdrücklich zu sagen braucht. »Le mouvement moderne, le monde moderne, le moment moderne« genügt. Erst als er nochmals darauf zurückkommt, was denn die Charakteristika dieser »modernen Epoche« seien, erscheinen diese Bezeichnungen ebenso selbstverständlich durch »Das Kaiserreich« ersetzt.
    Diese weitere Aufgabe, das gesellschaftliche Leben einer Epoche zu gestalten, zunächst nur eine Art Bodenuntersuchung, mit deren Hilfe die Veränderungen erklärt werden sollten, die sich durch das Verpflanzen einzelner Familienmitglieder in das jeweilige Terrain an ihnen vollzogen, findet sich in dem bereits 1869 Lacroix übergebenen Plan gleichberechtigt, wenn auch an zweiter Stelle.
    Da Wird die Verkörperung eines ganzen Zeitalters, der sozialen Struktur der modernen Gesellschaft, das Studium des Zweiten Kaiserreiches von den Anfängen bis auf unsere (d.h. Zolas) Tage gefordert. Und man kann nur Zolas Mut bewundern, mit dem er die Gebrechen der Zeit und damit die Schwächen des Regimes der Kritik preisgab. Allerdings war die kritische Stimmung gegen das Kaiserreich Ende 1868/69 allgemein angewachsen und hatte bereits zu ersten oppositionellen politischen Demonstrationen geführt. In dem Augenblick aber, da das Zweite Kaiserreich, zusammenbrach, ohne daß die schriftstellerische Aufgabe seiner Darstellung beendet war, mußten die ursprünglichen Gegenwartsromane streng genommen zu historischen Romanen werden, im Sinne der Darstellung einer zeitlich zurückliegenden, abgeschlossenen Epoche, wenn Zola seiner früheren Zielsetzung treu bleiben wollte.
    Unwillkürlich schob sich damit in den folgenden Jahren vor die Prüfung der Vergangenheit, vor dieses Bild des Kaiserreichs immer wieder die eigene Gegenwart mit ihren Kämpfen, Fragen, Problemen, lagerten sich die zwei Zeitschichten so dicht übereinander, daß es schwerhielt, sie im einzelnen noch zu trennen.
    Durch diese Überlagerung mußte allmählich auch eine innere Veränderung erfolgen. Bis zum »Totschläger« einschließlich wird das alte Programm ungefähr ungebrochen erfüllt – insofern war Zolas Protest im Jahre 1878 berechtigt und doch wiederum auch nicht, weil er in dem erwähnten Brief und in dem Stammbaum sehr wohl vermied, sich die Möglichkeiten späterer Veränderungen durch genaue Fixierung seiner Themenkreise zu versperren. Andererseits ist erst durch diesen Wandel, das Hereinströmen neuer Fragen, jene umfassende Breite entstanden, die aus dem »Abbild eines toten Reiches, einer seltsamen Epoche von Wahnsinn und Schande« das gültige Gemälde zweier Zeiten machte, in dem Vergangenheit und Gegenwart sich wechselseitig erhellen und die zeitliche Doppelschichtung die Perspektive selbst bis in die Zukunft des nächsten Jahrhunderts hinein erweiterte. Zugleich vollzog sich mit dieser Umformung ein Umschlagen der Grundkonzeption in doppeltem Sinne: aus der Familiengeschichte wird ein großes historischsoziales Gemälde, aus der Tragödie des Niedergangs ein zukunftsgläubiger Hymnus des Lebens. Denn als eine Tragödie des Niedergangs, des Verfalls einer Familie, der Zersetzung eines Reiches hatte sich ihm das Werk ursprünglich dargestellt. Darauf deutet alles hin, in den Planentwürfen, in den erwähnten Sätzen aus dem Vorwort zum »Glück der Familie Rougon«, in den Skizzen zu mehreren Romanen. Immer ist von dem vorzeitigen Sichüberleben der Familie die Rede, von den Süchten und Begierden,
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