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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1
Autoren: Émile Zola
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doch feige, war sein einziges Kapital der Kredit seines ererbten Namens, den die Legende der Dichter und die Enttäuschung der Massen allmählich mit dem Glorienschein eines Volkshelden umgeben hatten. Jahrelang schon abenteuerte der Prinz Louis durch Europa, Ausschau haltend nach Rissen und Spalten im politischen Gebäude Frankreichs, durch die er hindurchschlüpfen und das Land in Besitz nehmen könnte. Zweimal schon war ihm ein solcher Versuch mißlungen (1836 und 1840). Diesmal aber ließ sich Frankreich wie gelähmt von dem politischen Hasardeur Gewalt antun und glaubte dabei noch, den starken Arm gefunden zu haben, der es vor dem Fall bewahrte. Nur wenige erkannten die Schande: Landarbeiter, kleine Bauern, Parzellenbesitzer, Proletarier, einige republikanisch gesinnte Bürger, vor deren politischen Umtrieben das Land gerade geglaubt hatte, sich zum Mann der Ordnung flüchten zu müssen. Sie sahen die Schmach und suchten ihr tapfer zu wehren. Vor allem im Süden, in der Provence, gab es erbitterte Revolten gegen den Diktator, und die Marseillaise rief wie einst das Volk zum Kampf.
    Doch Napoleon III., der Abgott der kleinen Bürger, der seine Leutseligkeit so weit getrieben hatte, die Wiederherstellung des allgemeinen Wahlrechts zu verkünden, ließ angesichts dieser zu ernst genommenen demokratischen Freiheiten die Biedermannsmiene fallen und die gekaufte Armee die vereinzelt aufflammenden Feuer des Aufstandes bis zum letzten Funken austreten. Über dem geknebelten Frankreich rief sich der triumphierende Diktator ein Jahr nach seinem Staatsstreich, am 2. Dezember 1852, von einem Chor willfähriger Helfer, von Spekulanten und dunklen Ehrenmännern, von Industriellen und Militärs sekundiert, zum Kaiser aus.
    So hatte die Ära des Zweiten Kaiserreiches begonnen, die blutig, wie sie emporgestiegen, auch wieder versinken sollte.
    Mit diesen Ereignissen nun verband Zola das Schicksal seiner RougonMacquart. Ihr Glück wurde durch den Staatsstreich ebenso abenteuerlich und blutig begründet wie das Glück Napoleons III.
    Drei Aufgaben mußte Zola in diesem Roman auf einmal zu lösen suchen: Zusammendrängen der Handlung auf einen ganz kurzen Zeitraum, um die Dramatik der Umsturztage voll herauszuarbeiten; Zurückverfolgen ihres Zustandekommens zumindest bis zur Februarrevolution, um das Eintreten dieser Ereignisse als notwendige Konsequenz, das Verhalten der Beteiligten als logische Folge erscheinen zu lassen; Einflechten der Familiengeschichte der RougonMacquart, von denen in diesem Roman bereits drei Generationen gleichzeitig auftreten und in das Geschehen handelnd einbezogen werden, wobei diese letzte Aufgabe noch dadurch komplizierter wird, daß Zola den Stammbaum nicht nur nach rückwärts, sondern gleichzeitig auch nach vorwärts entwickeln mußte, wenn er den auf der medizinischen Studie beruhenden Zusammenhang der nachfolgenden Bände vorbereiten wollte. Aus dieser dreifachen Aufgabe ergeben sich die Besonderheiten der Komposition.
    Wenn man den Roman liest, entsteht unwillkürlich der Eindruck, daß eine breit angelegte, viele Jahre der offiziellen Historie Frankreichs und der privaten Geschichte der RougonMacquart umfassende Handlung von Zola entrollt wird. Es bedarf einiger Mühe, sich zu vergegenwärtigen, daß die tatsächliche Handlung zwischen nur vier Hauptpersonen mit den zu ihnen gehörenden Kreisen spielt – Adélaïde Fouque, der alten Stammutter des Geschlechts, ihren beiden Söhnen Antoine und Pierre und ihrem Enkel Silvère – und in den knappen Zeitraum zwischen zwei Sonntagen eingebettet ist. Zola erreicht diesen Eindruck epischer Breite, indem er an den verschiedensten Stellen gleichsam immer wieder einen Durchstich vornimmt und das Auge des Lesers von der Gegenwart in die Vergangenheit zurückschweifen läßt, wie jene Renaissancemaler, die mit Säulen und Pilastern die Wandflächen in eine Vielzahl von Zwischenräumen auflösten, die sie dann mit weiten Landschaften füllten, so daß der Beschauer glauben konnte, sich in einer Kolonnade zu befinden, die ihm einen freien Blick über das unendliche Land gestattete. Die Schranke der Wände öffnete sich, der Raum wuchs über seine Grenzen hinaus, die ins Unendliche führende Perspektive verlieh ihm eindrucksvolle Monumentalität und großzügige Geräumigkeit.
    Im ersten Kapitel versetzt Zola den Leser unvermittelt und überraschend in eine doppelte Krisensituation, im Leben des Landes und im Leben Silvères. Obwohl der tragische Wendepunkt
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