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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Autoren: Peter Orullian
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lächeln. Shanbe ließ sich ebenfalls seinen Tee schmecken und summte ein paar fröhliche Takte vor sich hin. Behagliches Schweigen breitete sich aus. Schließlich konnte Wendra ihre Neugier nicht länger zügeln.
    »Erzählt mir von der Discantus-Kathedrale.« Sie bemühte sich, ihre Stimme ruhig zu halten und nicht allzu großes Interesse zu zeigen. Doch sie konnte es kaum erwarten, mehr von dieser Kathedrale zu hören, die der weißhäuptige alte Mann in der Höhle erwähnt hatte. Sie staunte darüber, dass es sie wirklich gab.
    Sofort merkte Wendra, dass sie Jastail verärgert hatte. Sein Zorn war beinahe greifbar. Doch er konnte nicht wissen, weshalb sie diese Frage stellte, also ignorierte sie ihn.
    »Oh, die Discantus ist eine prachtvolle Kathedrale … vielmehr war sie das«, sagte Shanbe. »Früher einmal war sie die Perle von Decalam, ja, der Grund dafür, dass die Stadt überhaupt entstand, man glaubt es kaum. Die Stadt hat für die Musik gelebt, die dort geschaffen und vorgetragen wurde. Sie wurde zum Herzschlag von Decalam, von ganz Vohnce. Kinder wie der junge Penit hier wurden den Maesteri anvertraut, wuchsen unter ihnen auf und lernten und studierten die Kunst und die Leidenschaft des Singens.« Der Ta’Opin erhob sich. »Die Türme der Kathedrale ragen über kuppelförmigen Dächern auf.« Er zeigte in den Himmel, als sähe er sie vor sich stehen. »Die Messingkuppeln, die einst feurig in der Sonne funkelten, sind vom Regen verfärbt und schmücken sie dennoch wie grüne Kronen.« Er starrte noch einen Moment lang in die Höhe, dann senkte er den Blick, als betrachte er das imaginäre Gebäude nun auf Höhe der Straße. »Ihre Mauern sind jetzt dunkel, und viele der Buntglasfenster wurden mit Brettern vernagelt, um sie vor Vandalen zu schützen. Sie liegt im ältesten Viertel von Decalam, wo das Leben billig ist und Gasthäuser praktischerweise neben Bordellen stehen. Auf den Stufen zu ihrem eisernen Portal stinkt es nach Ziegenpferchen. Heutzutage gleicht sie eher einem Museum denn einem Ort der Gelehrsamkeit.«
    Wendra sah dem Ta’Opin an, wie sehr er sich der Kathedrale verbunden fühlte. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, sogar während er ihren Verfall beschrieb. »Ihr wart also schon dort?«
    »Ob ich schon dort war, meine Dame?«, fragte Shanbe voll gutmütiger Ungläubigkeit. »Ich habe dort schon gesungen, und das mehr als einmal.« Er setzte sich wieder hin und leerte seinen Becher mit einem großen Schluck.
    Penits Wangen glühten vor Aufregung über die Vorstellung, die Shanbes Worte in ihm erzeugt haben mussten. »Ich bin schon in vielen Städten aufgetreten«, sagte Penit. »Aber noch nie in Decalam.«
    Der Fuhrmann sah Penit über das Feuer hinweg an. »Du bist Schauspieler?«
    »War ich eine Weile«, antwortete Penit. »Aber nur auf den Wagenbühnen, nie in einem Theater.«
    »Trotzdem«, sagte Shanbe strahlend. »Welch wundersame Begegnung: ein Kind der Bühne, ein Bruder, der das Feuer mit mir teilt, und eine Frau …«
    »Allerdings«, unterbrach ihn Jastail. »Nun, wir haben einen langen Tag hinter uns, ich finde …«
    »Wir sollten gemeinsam weiterreisen«, fiel Wendra ihm ins Wort. »Zu Pferde sind wir sogar schneller als Euer Wagen, wir werden Euch also nicht aufhalten. Und es wäre herrlich, Euch singen zu hören, Shanbe.«
    »Ich wüsste nicht, was dagegen spräche«, erwiderte der Ta’Opin.
    »Nein«, warf Jastail barsch ein. Sein scharfer Tonfall brachte alle zum Schweigen. Wendra drehte sich zu ihm um und sah, dass er sie böse anfunkelte, und er starrte sie noch mehrere Augenblicke lang so an. Als Jastail klar wurde, dass er aus der Rolle gefallen war, verschwand der zornige Ausdruck sofort von seinem Gesicht. »Verzeihung«, sagte er. »Wir reisen zwar nach Decalam, aber wir müssen vorher noch einen Freund aufsuchen. Das ist ein Umweg von einer Tagesreise. Ich fürchte, so viel Zeit habt Ihr nicht, mein Freund. Aber ich hätte Euch auch zu gern singen hören.«
    Der Gesichtsausdruck des Ta’Opin blieb unverändert freundlich, doch Wendra glaubte, sein leicht gerecktes Kinn könnte Besorgnis ausdrücken. Er warf einen langen Blick auf Penit und Wendra, ehe er sich wieder Jastail zuwandte. »Ich kann keinen Umweg machen, da habt Ihr recht.«
    »Zu schade«, sagte Jastail, der sich wieder vollkommen im Griff hatte. Er hielt Wendra seinen Becher hin, und sie widerstand dem Drang, ihm den Inhalt ins Gesicht zu kippen.
    »Mir ist übel«, murmelte sie mit
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