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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Autoren: Peter Orullian
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sich in seinem Sessel zurück. »Ich singe die Noten nicht selbst. Das ist den Leiholan im Saal der Gesänge vorbehalten. Aber ich spiele sie mir in Gedanken vor. Sie haben eine beruhigende Wirkung auf mich.«
    »Die Verse sind sicher?« Das war keine echte Frage.
    »Ich wäre zu dir gekommen, wenn es daran Zweifel gäbe«, entgegnete Belamae.
    Helaina sah ihn nachdenklich an. »Seit wann bist du ihr Hüter, mein Freund? Länger, als ich Regentin bin, glaube ich.«
    Belamae lachte gütig. »Ich hatte noch nicht einmal meinen Einstand begangen. Und ehe ich anfing, das Lied zu lehren, habe ich es selbst zwanzig Jahre lang gesungen.«
    »Heutzutage wird den Jungen zu viel Verantwortung aufgebürdet.« Die Regentin schaute in den dunklen Kamin.
    »Wenn ich mich recht erinnere, warst du selbst noch sehr jung, als du zur Regentin berufen wurdest«, bemerkte Belamae. Als sie wieder zu ihm aufblickte, lächelte er sie an. »Die Tochter der reichsten Kaufmannsfamilie von Decalam. Du warst ein, höchstens zwei Jahre über den Wandel hinaus, als die Handelsgilden dich baten, sie im Hohen Rat zu repräsentieren. Und nur ein Jahr später, nicht wahr, hast du die Regentschaft übernommen? Wir waren beide noch so jung«, sagte der Maester ein wenig wehmütig, »und haben in diesem zarten Alter weitreichende Entscheidungen getroffen.«
    Helaina nickte und dachte bei sich, dass sie jetzt hier saß, in ihrem keineswegs zarten Alter, um ihn über noch weiter reichende Entscheidungen zu unterrichten. »Ich habe den Lesherlauf ausrufen lassen.«
    »Das habe ich gehört«, sagte Belamae. »Du besetzt deinen Rat in Vorbereitung des Großen Mandats. Das ist klug von dir. Bist du deshalb gekommen? Weil du möchtest, dass auch ich wieder einen Platz im Rat einnehme?«
    »Unter anderem, ja.«
    »Die meisten geben nicht viel auf die Ansichten der Maesteri, aber ich werde meinen Sitz im Rat wieder einnehmen, wenn das dein Wunsch ist.« Belamae tätschelte erneut ihr Knie. »Und nun muss ich dir die Wahrheit über die Gerüchte sagen. Es heißt, Stilletreue seien wieder ins Land eingedrungen, nicht wahr? Davon raunt man überall.«
    Helaina nickte.
    »Dann lass dir sagen, dass ich das für wahr halte.« Der Maester seufzte tief und rieb sich die buschigen Brauen. »Die Leiholan sind erschöpft. Sie sind nur noch sehr wenige, Helaina. Die Gabe des schöpfenden Gesangs ist unter den Menschen nicht mehr so verbreitet wie früher. Ich habe kein halbes Dutzend mehr, die das Leidenslied singen können, und die meisten von ihnen sind jung und unerfahren. Du weißt, wie lang das Lied ist – die Verse der Verlassenen vollständig und ohne Pause zu singen dauert sieben Stunden, und es muss unablässig gesungen werden. Eine Leiholan braucht einen ganzen Tag, um sich zu erholen, nachdem sie es vorgetragen hat.«
    »Belamae«, sagte Helaina und sah ihm fest in die Augen. »Werden sie zu schwach?«
    Ihr alter Freund erwiderte ihren Blick. »An manchen Tagen, ja.«
    Sie empfand tiefes Mitgefühl für den Hüter der Verse, und zugleich wurde sie von eisigem Grauen gepackt. »Also gibt auch der Schleier nach, und die Stille schlüpft hindurch.«
    Belamae sagte nichts.
    Helaina gab ihm die Pergamentseiten zurück. Sie machte ihrem alten Freund keine Vorwürfe. Die Gabe der Leiholan war rar, und nicht alle, die die Fähigkeit besaßen, durch Gesang zu schöpfen, konnten das Leidenslied erlernen. Noch weniger waren stark genug, das Grauen zu ertragen, das die Verse der Verlassenen beschrieben. Sie zu singen forderte einen hohen Tribut von der Forda des Sängers. In gewisser Hinsicht war es erstaunlich, dass auch nur eine Handvoll dazu in der Lage war.
    Und nun hatte dieses letzte Bollwerk gegen die Stille, verborgen unter dem Unrat und der Armut Decalams, zu schwächeln begonnen. Das Lied hielt den Schleier aufrecht. Ohne den Gesang würde er fallen.
    »Dann ist es Zeit«, sagte Helaina schließlich in das bedrückende Schweigen hinein, das sich über sie gesenkt hatte.
    Der Maester begegnete ihrem entschlossenen Blick. »Zeit für was, Helaina?«
    Sie räusperte sich und sprach mit der Stimme der eisernen Faust. »Ich habe das Große Mandat einberufen. Taktierer mit gefährlichen Ambitionen strömen in die Stadt und suchen Einfluss und Verbündete zu gewinnen. Das wird seine Zeit dauern. Und die Liga hat offenbar eigene Pläne. Ich habe General Van Steward angewiesen, Männer zu rekrutieren und seine Truppen zu verstärken. Aber jetzt …« Sie hielt inne und
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