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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter
Autoren: Kerstin Michelsen
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PROLOG
     
    K ein Mitleid. Das macht es nur schwer, das Nötige zu tun oder was dir befohlen wird.
    Um sich zu beruhigen , summt er leise vor sich hin. Keine Melodie, die irgendjemand erkennen würde. Aber dennoch ist es tröstend. Als wäre er nicht der, der er ist. Nicht der, der es tun muss.
    Noch zögert er die Tat hinaus, so lange er kann.
    Es fiept leise und windet sich. Fast ekelt es ihn jetzt vor dem Gedanken an das, was kommt. Aber es ist nicht nur der Ekel, den muss man überwinden.
    Nein, da ist noch etwas anderes, das ihn innerlich zum Schwingen bringt. Es ist ein mächtiges Gefühl. Berauschend. So also fühlt sich das an. Doch noch ist er nicht entschlossen, es ist noch nichts entschieden oder vielleicht weiß er es nur nicht. Wie sollte er auch, es ist schließlich das erste Mal, dass er allein vor dieser Aufgabe steht. Wenn die Gefühle nur nicht so in ihm toben würden, Papas Stimme dröhnt dazwischen.
    Es wimmert nun lauter und er betrachtet den bleichen, ein wenig formlosen Köper. Schön ist es nicht, aber jetzt gehört es ihm ganz allein. Schluss mit dem Striegeln und Kuscheln und Streicheln. Man darf sein Herz nicht dran hängen, das ist falsch. Wochenlang gefüttert und gestreichelt. Ein Schnitt und vorbei ist das Schöne, Warme. So ist es immer gewesen. Dann ist es ganz seins.
    Einer muss es tun.
    Er tritt an die rechte Seite und zieht den Strick fester. Da hat er geschlampt. Er ballt die Hand und schlägt sich fest an die Stirn. Einmal, zweimal. Tut mir leid, Papa.
    Nun ist es besser. Es hat jetzt kaum noch einen Bewegungsspielraum. Wenn es sich aufbäumt, kann er nicht präzise arbeiten. Jeder Schnitt muss sitzen, das hat Papa ihm eingebläut. Wehe, du beschädigst das Fell. Kostet alles Geld. Das büßt du mir. Bist du dumm? Soll ich den Stock holen? Nein? Dann los. Feiger Hund.
    Mit einer behandschuhten Hand zieht er d ie Schürze zurecht. Seine Brust hebt und senkt sich jetzt so heftig, als wäre er gelaufen. Jetzt muss er sich aber konzentrieren. Mit einem prüfenden Blick vergewissert er sich, dass die von ihm bereitgelegten Messer so liegen, wie es sich gehört. Das Metall blinkt, genau wie Papa es immer verlangt hat. Geschärft und poliert. Nicker. Skinner. Hirschfänger. Das große Jagdmesser mit dem Horngriff. Der Schleifstein darf nicht fehlen. Nein, alles ist, wie es sich gehört.
    E s liegt vor ihm und jammert. Aber jetzt ist es Zeit. Papa hat gesagt, wenn es anfängt, dir ans Herz zu wachsen, dann töte es. Du musst. Du oder du. Einer muss es ja tun. Eene meene Muh. Er will es ja gar nicht tun. Es ist ihm auch lieb geworden, so ist das nicht, doch es hat den Tod schon in den Augen. Er kennt das. Milli hatte es in den Augen gehabt, als Papa ihm befahl, der alten Hündin die Kehle durchzuschneiden und dann all die Hasen und Rehe und zahllosen Katzen, die Kuh und der nutzlos gewordene Gaul, die hatten es auch gehabt. Papa ist der Herr über Leben und Tod. Papa kennt alle Gedanken. So ist das nun einmal. 
    Warum weiß das Vieh, dass es sterben wird? Er sieht es jedes Mal, wenn er mit dem Messer in der Hand darauf zutritt. Das immerhin hat es Papa voraus, das hat er mit Verblüffung festgestellt. Der ist einfach nur umgefallen wie ein gefällter Baum und dann haben die Augen nur dumm und fragend geglotzt. Dann sind sie trübe geworden und sind nun für immer zu. Er muss fast lachen bei dieser Erinnerung. Dann wird er wieder ernst. Er will sich der Aufgabe als würdig erweisen. Wenn er zögert, steckt Papa ihn ins Loch.
    Ach n ein, der ist ja nicht mehr da. Aber er hat immer noch die Macht. Kann ihn immer noch zwingen, das zu tun. Das macht ihn jetzt wütend. Muss das wirklich sein, Papa?
    Es hatte sich gerade so eingelebt und wenn er in der Frühe die Augen aufschlägt, ist der Tag nicht mehr leer und sinnlos. Jeder Morgen beginnt so, seitdem er es gefangen hat: Er setzt sich in dem neuen Bett auf und freut sich darauf, gleich hinunterzugehen. Es ist wichtig, dass alle eine Aufgabe haben. Sie haben immer etwas zu tun. Dann ist es gut.
    Es hat kein Fell, aber ist trotzdem weich und warm. Das muss er zugeben. Er kann damit tun, was er will und er glaubt, dass es ihm inzwischen treu ergeben ist. Es gehorcht ihm aufs Wort.
    Aber er sieht ja auch ein, dass es besser ist, es jetzt zu tun, als noch länger zu warten. Er wird es genau so machen, wie Papa es ihn gelehrt hat. Nur in einem einzigen Punkt ist er ungehorsam. Es ist jetzt sein eigenes Spiel. Er allein stellt die Regeln auf und
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