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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter
Autoren: Kerstin Michelsen
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es denn krank gewesen ist und er erzählt ihr, dass es von einem Autofahrer angefahren worden ist. Das hatte er einmal vom Papa gehört, als der Förster sie angehalten hat. Der Förster hat den Kopf geschüttelt und ist vorbeigegangen. Die Frau redet und redet, so dass ihm ganz dumm wird im Kopf. Er begleitet sie ein Stück und dann lenkt er den Weg, ohne dass er es selbst bemerkte, zum Haus. Dann stehen sie im Hof und er lädt den Rehbock von den Schultern und als die Frau ihn noch fragend ansieht, hat er schon zugeschlagen. Er wundert sich, dass sie einfach so umfällt und trägt sie ins Haus. Das geht aber leicht, denkt Fritz.
    Tomi freut sich wie über ein neues Spielzeug. Sowas haben sie nie gehabt. Er kümmert sich wirklich gut und striegelt und füttert es jeden Tag.
    Meistens h ält es still, doch manchmal schreit es auch und hört nicht, dann muss es ins Loch. Bald ist es, als wäre es schon immer dagewesen. Sie haben es liebgewonnen, zu lieb vielleicht, denn Papas Stimme dröhnt bald jede Nacht in seinen Ohren. Das machte ihn so verrückt, dass er das tut, was Papa verlangt.
    Dabei setzt er aber trotzdem seinen eigenen Kopf durch. Wer will ihn daran hindern? Es gefällt ihm. Er ist jetzt der Herr auf Thönges‘ Hof.
    Er legt die Messer aus und fühlt das vertraute Gewicht in der Hand. Der Tomi sitzt im Loch und heult. Und dann: Jeder Schnitt sitzt. Ja, er hat jetzt hier das Sagen. Da kann Papa noch so brüllen. Er tut es auf seine Weise.
    Dann ist es eine Zeitlang still und einsam bei ihnen. Der Tomi hockt bei den dämlichen Karnickeln. Kein Lachen mehr. Fritz ist immerzu im Wald und schießt und schlitzt und findet keine Ruhe.
    Bald darauf kommt d er Mann aus der Stadt und kauft ein paar Stück Wild und das alte Bett gleich mit. Das ist gut. Geld haben sie immer zu wenig. Dann kann er in die Stadt fahren und so manches kaufen.
    Trotzdem, m anchmal weiß er nicht mehr, wem die Stimmen gehören da in seinem Kopf. Papa, klar. Da sind auch noch andere. Wer ist das? Manchmal brüllen sie so laut, dass er zusammenzuckt. Dabei hat er doch sein Bestes getan. Er ist am Ende immer gehorsam gewesen. Das Blut hat gespritzt und er hat geweint, aber er hat es getan. Dann ist er sehr einsam gewesen und es hat sich angefühlt, als wäre das Loch nicht in der Scheune, sondern in ihm selbst drin. Da ist es ihm nicht gut gegangen und er hat verstanden, warum Tomi immer weint, wenn der Scheunenboden sich rot färbt.
    Aber d ann findet er ein Neues. Das andere hat er schon vergessen. So ist das eben. Das Neue hat den Tomi gekratzt, da hat er es totgemacht, gleich am ersten Tag. Macht nichts, hat er dem Tomi gesagt, ich hol dir ein Neues. Und dann hatten sie gar zwei. Obwohl, das war auch nicht gut, hat man ja gesehen. Du Dummer, sagt er zu sich selbst. Man muss es doch gleich totmachen.
    Erst ist es tot, dann ist es fort.
    Doch das hier ist es nicht. Nur fort gewesen ist es, aber nicht tot. Das hat er gewusst und er hat es gefunden. Ja, er hätte es gern noch eine Weile behalten. Vor allem jetzt, wo Tomi nicht mehr da ist. Obwohl es zum Schluss gar nicht mehr brav gewesen ist und auch so dünn. Am Anfang hatte es ihnen darum gar nicht so gefallen. Aber dann. Um das Dicke tut es ihm nicht so sehr leid, das hat der Tomi schon kaputt gemacht.
    Er hat es selbst gefangen, sie haben sich gut gekümmert und dann ist es fortgelaufen. Das hat ihn sehr wütend gemacht. Das ist ihm doch noch nie passiert! Und er hat schon die Hand an Papas Messer, das in seinem Gürtel steckt. Gut, dass er es immer bei sich hat, wenn er die Fallen kontrolliert.
    Ja, er ist sehr wütend gewesen.
    Aber jetzt, wo er es sieht, da ist die Wut wie weggeblasen und sein Herz brennt wie Feuer. Es ist doch alles, was er jetzt noch hat. Es gehört ihm!
    Er st eht stocksteif und starrt unverwandt durch das Gebüsch. Macht keinen Mucks. Mit der rechten Hand befühlt er die Narbe am Kind, wie er es immer tut, wenn er aufgewühlt ist. Er kratzt daran, bis es beinahe blutet.
    Sie ha ben ein Licht angezündet, eine Kerze, also kann er es gut erkennen. Es trinkt aus einem feinen Glas, wie eine Elfe oder eine Prinzessin. Sie haben einmal so ein Buch gehabt, mit Bildern. Gefunden im Wald haben sie es. Ein großes Geheimnis.
    Er f indet es schön. Es erinnert ihn an ein Reh. So schön und stark. Er wird ganz stolz, wenn er es betrachtet.
    Gleich w ird er sich in das Unterholz zurückziehen. Er muss zurück in die Wälder. Dort ist er sicher. Nur noch einen Moment schauen.
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