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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter
Autoren: Kerstin Michelsen
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langsam. Äste peitschten uns ins Gesicht.
    « Nora, ich kann nicht mehr.»
    Marita weinte. Wir beide weinten.
    «Wir dürfen jetzt nicht stehenbleiben. Denk an deine Kinder. Sag mir ihre Namen. Sag ihre Namen.»
    « Anna.»
    « Weiter.»
    « Felix. Tobias … Nora, ich kann nicht mehr.»
    « Doch, du kannst noch.»
    « Meine Füße …»
    « Weiter. Anna. Felix. Tobias. Nicht aufhören.»
    « Anna … Felix … Tobias …»
    Während ich Marita antrieb , sah ich buchstäblich rot. Ein Ast hatte mir die Stirn aufgeschrammt und etwas lief feucht und warm über das rechte Auge. Oh Gott, Oliver, wo bist du? Ich will nur noch nach Hause. Immer geradeaus. Lieber Gott, lass uns nicht im Kreis laufen. Was ist das für eine Lichtung? Waren wir da nicht schon? Warum ist denn hier niemand?
    Hilfe …
    Hab keine Angst.
    … immer bei dir.
    «Anna … Felix … Tobias.»
    « Weiter, Marita, weiter. Nicht stehenbleiben.»
    Papa …ich kann nicht mehr!
    … immer bei dir …
    Omi, so hilf mir doch, Hilfe!
    Wer nicht hören will, kommt ins Loch.
    Nein!
     
    P lötzlich ragte eine Wand aus schwarzen Männern vor uns auf. Sie bremsten unsere verzweifelte Flucht.
    Ich erstarrte und sah keine Gesichter, nur Augen.
    Wenn ich noch den nötigen Atem und die Kraft gehabt hätte, hätte ich wohl geschrien. Wir standen stocksteif. Mein Herz schlug hart, als wollte es zerspringen.
    Die Hand eines der schwarzen Männer flog nach oben und zog das Schwarze in die Höhe wie einen Vorhang im Theater. Ein blonder Bart kam zum Vorschein, dann ein lächelnder Mund mit etwas schiefen Zähnen, dann Nase und blau-graue Augen, die sagten, dass alles gut war.
    Ich fiel und ließ auch im Fallen Maritas Hand nicht los.

ELF
     
    «Und was ist, wenn der Streifen nichts anzeigt? Bist du dann sehr enttäuscht?»
    Olivers Stimme drang durch die Badezimmertür, während ich auf der Toilette saß und zweifelnd das Stäbchen betrachtete, das wir gekauft hatten. Ich war mehr als eine Woche überfällig, aber natürlich konnte das auch an dem Schock liegen und all dem Stress.
    Einmal darauf pinkeln und wir hätten Gewissheit. Relative Gewissheit, um genau zu sein. Es konnte falscher Alarm sein und es konnte jederzeit noch alles Mögliche schiefgehen.
    Dennoch waren wir am Morgen, verlegen kichernd wie Teenager, in die Apotheke gegangen. Dort hatten wir uns ausführlich über die Vorzüge dieses und jenes Schwangerschaftstests informieren lassen. Am Ende hatte Oliver die arme Apothekerin vollends aus der Fassung gebracht, als er sagte: «Das war sehr interessant. Wir nehmen alle.»
    Oliver tat mir einfach gut. Lachen war gut. Die Angst saß noch dicht genug unter der Oberfläche. Zerbrechlich. Trotzdem, man musste weiter machen. Nichts brauchte ich in diesen Tage n dringender als die Normalität.
    « Ich kann gerade gar nicht», rief ich zurück. Ich hatte zwei Becher Tee getrunken, ehe wir gemeinsam nach oben gingen, doch dann hatte ich meinen Liebsten aus dem Badezimmer verbannt.
    « Was kannst du nicht?»
    « Na, was wohl …»
    « Soll ich noch mehr Tee holen?»
    « Nein. Ich habe genug getrunken. Aber es macht mich nervös, wenn du da wartest. Geh einfach schon runter in den Garten und schenk uns ein Glas Wein ein. Ich komme dann, sobald ich fertig bin.»
    « Na gut. Was willst du denn, Weißen oder Roten?»
    « Weiß. Mit zwei Eiswürfeln!»
    Ich hörte, wie Oliver die Treppe hinunter ging und wischte mir den Schweiß von der Stirn.
    Es war ein heißer Tag gewesen, für Anfang Juni jedenfalls zu heiß und obwohl es schon fast acht Uhr war, stand die Hitze noch in allen Räumen. Im Erdgeschoss war unser altes Haus herrlich kühl, egal, wie warm es draußen war. Hier oben unter dem Dach staute sich die Kraft der Sonne manchmal bis spät in die Nacht.
    Seit zwei Wochen hatten wir unten im Wohnzimmer geschlafen, nur auf unseren Matratzen, die wir von oben herunter geschleppt hatten. Aber das lag nicht nur an der Hitze. Gestern hatten wir uns dann endlich dazu durchgerungen, uns von dem Bett zu trennen. So leid es mir tat um das schöne Stück und die vielen Stunden, die ich daran gearbeitet hatte: Ich würde darin nicht mehr schlafen. Niemals wieder.
    Nach ein paar Tagen Bedenkzeit war ich soweit. Oliver hatte es gleich abbauen wollen, am liebsten hätte er es wohl zerhackt und verbrannt, weil mit dem Bett alles angefangen hatte. Doch ich war mir nicht gleich sicher gewesen, trotz allem.
    Nun hatte ich also entschieden, dass das Bett an Uta Simoni zurückgehen
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