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Nora Morgenroth: Der Hüter

Nora Morgenroth: Der Hüter

Titel: Nora Morgenroth: Der Hüter
Autoren: Kerstin Michelsen
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Netzhaut wie ein Dia in einem Projektor. Klick. Klick. Ich kauerte mich zusammen und drückte die Hände vor das Gesicht. Es half alles nichts. Die Bilder kamen und gingen wie sie wollten.
    Mama.
    Hilfe … warum hilft mir denn keiner ?
    Wer nicht hören will , kommt ins Loch.
    … nein … nein, bitte nicht.
     
    Plötzlich horchte ich auf. Marita stöhnte. Ich beugte mich über sie. Sie schien zu schlafen, warf sich unruhig hin und her. Ihr Atem rasselte, doch ich hatte noch etwas anderes gehört. Ich hielt die Luft an und reckte den Hals. Das war eindeutig ein Motor. Motorengeräusch. Ein Auto. Ob es sich näherte oder entfernte, konnte ich nicht sagen. Vorsichtig richtete ich mich auf und drehte mich zum Fenster.
    Die Sonne stand schon hoch. Welcher Tag war es, sechs, sieben? In der ganzen Zeit hatte ich hier nichts gehört als die Geräusche des Waldes. Ein Auto. Konnte es wirklich sein, dass jemand kam?
    Der Hof war leer.
    Ich stand auf und trommelte mit beiden Händen an die Scheiben.
    «Hier! Hier sind wir! Hilfe!»
    Ich schrie und brüllte. Undeutlich bemerkte ich, dass Marita sich ebenfalls aufgerichtet hatte.
    «Was ist los? Nora, was machst du da?»
    « Da war ein Auto. Jemand ist hier. Marita, vielleicht haben sie uns gefunden. Hier sind wir! Im Erdgeschoß! Hilfe!»
    Ich fuhr fort, wie eine Wahnsinnige an das Fenster zu schlagen.
    Marita ließ sich zurück auf die Matratze sinken.
    « Vergiss es. Das ist Thönges.»
    « Was hast du gesagt?»
    Ich ließ die Hände sinken.
    Stille. Vollkommene Stille. Kein Motorengeräusch. Es war fort. Ich lauschte atemlos. Aber nein, da war nichts mehr.
    « Das war Thönges. Was hast du denn gedacht, wie der mich hierher gekriegt hat? Ich habe dir doch gesagt, dass er mich ins Auto gezerrt hat. Hier ist niemand. Niemand kommt, um uns zu holen. Es ist bloß Thönges.»
    « Nein!»
    « Doch. Vielleicht ist er weggefahren.»
    « Oh Gott.»
    Ich ging in die Hocke. Plötzlich wollten die Beine mich nicht mehr tragen. Das Rauschen flog heran. Ich spürte noch, wie ich in mich zusammenfiel. Wollte mich davon tragen lassen.
    Nora-Kind.
    Papa, nimm mich mit.
    Ich kann nicht mehr.
    «Nora! Jetzt reiß dich zusammen.»
    Etwas zerplatzte heiß auf meiner Wange. Ich riss die Augen auf. Mein Gesicht brannte. Ich starrte in Maritas Gesicht. Ihr Blick war fiebrig und rot unterlaufen.
    « Er ist da. Er ist nicht weggefahren. Hörst du?»
    Schritte kamen näher.
    «Das kann nicht sein!», sagte ich.
    « Du hörst es doch. Jetzt oder nie», sagte Marita und langte unter die Matratze.
    « Was willst du tun?», wisperte ich. Wir hatten uns nicht abgesprochen. Es würde entsetzlich schiefgehen. Marita war viel zu schwach. Wir beide waren zu schwach. Thönges mochte schwachsinnig sein oder verwirrt, aber er war ein kräftiger Mann. Wir waren nur zwei halbnackte Frauen, zu Tode verängstigt, die seit Tagen kaum gegessen hatten. Die eine dazu noch mit hohem Fieber. Wenn es misslang, würde er uns töten.
    « Warte noch, Marita, tu’s nicht! Wir brauchen einen Plan. Das wird nie klappen, lass, nein …»
    Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Ich verstummte. Marita stand mit den Händen hinter dem Rücken an die Wand gelehnt.
    « Du greifst dir den Schlüssel, egal, was passiert. Mach dich los und dann lauf.»
    « Ich gehe auch nicht ohne dich», zischte ich zurück.
    Mein Mund war jetzt noch trockener als zuvor. Die Beine zitterten, als ich mich aufrichtete.
    Die Tür ging auf. Thönges trat ein, idiotisch grinsend. Da stand er. Sein Blick ging scheinbar unsicher zwischen Marita und mir hin und her. Trotzdem blieb dieses tonlose Lachen in dem Gesicht, als hätte man ihm eine Maske aufgesetzt. Die Augen waren wieder seltsam leer. Dann trat er näher. Er kam auf mich zu. Ich senkte den Kopf und hielt den Atem an. Mein Herz klopfte zum Zerspringen. Aus den Augenwinkeln behielt ich Marita im Blick. Sie stand stocksteif. Wie wollte sie den Mann daran hindern, dass er mich mitnahm?
    Thönges streckte die Hand mit dem Schlüssel aus, mit der anderen ergriff er das Schloss, mit dem die Kette an den Heizkörper befestigt war. In diesem Augenblick schnellte etwas vor. Etwas Blankes blitzte auf. Ich hörte es knirschen, dann schrie Thönges auf.
    Er ließ den Schlüssel fallen. Ich bückte mich und hob ihn auf. Thönges Arm schwebte über meinem Kopf. In dem Arm steckte das Messer, unterhalb des Schultergelenks. Bizeps, fuhr es mir vollkommen sinnlos durch den Kopf, das ist der Bizeps.
    Marita war
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