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Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)

Titel: Das Gewölbe des Himmels 1: Der Vergessene (German Edition)
Autoren: Peter Orullian
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von brennenden Zweigen ihre Stimmen, die gespenstisch aus dem Dunkeln hinter ihren Pferden kamen.
    Sie fragte sich, ob die anderen sie jemals finden würden oder sie die anderen. Und rechtzeitig genug, um dem zu entrinnen, was Jastail mit ihr und Penit geplant hatte? Er benutzte Menschen, wie Dichter ihre Worte benutzen – jeder Strich sorgsam geführt, jedes Wort genau danach ausgewählt, ob es die beabsichtigte Bedeutung transportierte. Von der ständigen Anstrengung, Dinge einzuordnen, ihre Reise seit der Hochebene nachzuvollziehen und sich zu fragen, wie sie hierhergelangt war, schmerzte ihr der Kopf.
    Das Klirren von Metall riss sie aus diesen düsteren Gedanken. Im Osten, in Richtung der Straße, konnte sie zwei Laternen ausmachen, die sanft an einem großen Wagen schwankten. Sie schlugen abwechselnd an die Seitenwände und ließen ein dumpfes, blechernes Scheppern hören. Als Nächstes vernahm sie langsamen Hufschlag und dann ein Lied, gemessen und leise, als summte es ein großer Mann tief aus der Brust heraus.
    Ehe sie noch einen Gedanken fassen konnte, stand Jastail neben ihr. »Auf der Landstraße gilt das ungeschriebene Gebot, sein Feuer mit einem anderen Reisenden zu teilen und ihm einen Becher Tee anzubieten. Er hat unser Feuer bereits gesehen und aus seiner Anwesenheit kein Geheimnis gemacht. Wenn er herkommt, vergesst nicht, was ich Euch gesagt habe. Er könnte ein noch größerer Rohling sein als ich, und dann werdet Ihr froh sein, mich bei Euch zu haben. Oder vielleicht trifft er auch eher Euren Geschmack.« Jastail schnaubte. »Aber wenn ich angegriffen werde, das versichere ich Euch, werde ich nicht allein sterben. Und Ihr wisst, wem mein erster Hieb gelten wird.«
    Wendra staunte über Jastails gleichgültigen Tonfall. »Ihr würdet uns eher tot sehen wollen, als uns freizulassen?«
    »Ich würde Euch lieber so höflich sehen wie bei unserer ersten Begegnung im Schatten der Nordwand«, erwiderte Jastail. Sie konnte seine Augen nicht sehen, doch er verfiel bereits wieder in die charmante Rolle, die ihr anfangs die Angst vor ihm genommen hatte. Er setzte so leicht ein anderes Gesicht auf, wie ein Mime sich eine Maske vorband.
    Quietschend kam der Wagen an der Weggabelung zum Stehen. »Seid gegrüßt«, rief eine Stimme.
    »Ihr ebenfalls, Reisender«, entgegnete Jastail laut. »Kommt von der Straße und setzt Euch ans Feuer.«
    Penit sprang auf und flitzte durchs Gebüsch auf den Wagen zu, der aus den tief eingefahrenen Rinnen gelenkt wurde. Während sich der Fremde näherte, betrachtete Wendra Jastails Profil, das sich vor dem Feuer abzeichnete. Ihr kam der Gedanke, welch ein seltsames – und zweifelhaft nützliches – Gesicht er doch hatte, das in einem Augenblick apathisch wirken konnte und im nächsten einnehmend, voller Kraft und falscher Fröhlichkeit.
    Zwei Pferdeköpfe tauchten aus der Dunkelheit auf. Die hellen Lampen warfen Lichtstreifen auf ihre Rücken. Zaumzeug und Geschirre klimperten und schwankten, bis der Fahrer die Tiere zum Stehen brachte und die Zügel an einem Haken festband. Ein großer Mann mit einer breiten Brust sprang federnd vom Kutschbock. Seine Gürtelschnalle blitzte im flackernden Licht des Feuers, doch sein Gesicht konnte Wendra nicht sehen, bis er näher kam. Dann erst erkannte sie, dass der Mann ein Tilatier war – eines der dunkelhäutigen Völker aus dem Osten. In manchen von Ogeas Geschichten wurde angedeutet, die Tilatier seien Inveterae und früher einmal in den Born verbannt gewesen. Ogea allerdings hatte das für einen Mythos gehalten.
    Und obwohl Wendra noch nie einen Tilatier gesehen hatte, kam der größte Schock für sie erst, als sie sah, dass der Mann sich sämtliches Haar am Kopf und im Gesicht abrasiert hatte und kein Hemd trug. Er war nicht nur Tilatier, sondern ein Ta’Opin – ein Volk innerhalb eines Volkes, wie Ogea gesagt hätte. Während man Tilatier schon nicht oft sah, waren die Ta’Opin sehr, sehr selten, beinahe ein Mythos. Angeblich lebten sie sechs menschliche Generationen lang und verfielen am Ende ihrer Tage in einen seltsamen Wahn, so dass die meisten sich das Leben nahmen, ehe sie vollends den Verstand verloren.
    Vor lauter Verblüffung, einem leibhaftigen Ta’Opin gegenüberzustehen, hatte Wendra für einen Moment Jastail vergessen. Der ging nun sicheren Schrittes an ihr vorbei und streckte dem Fremden die Hand hin.
    »An der Straße, wenn das Hohe Licht erlischt, teilt unseren Tee«, sagte Jastail mit einem eigenartig
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