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Das Geschenk der Sterne

Das Geschenk der Sterne

Titel: Das Geschenk der Sterne
Autoren: Hans Kruppa
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Menschen sehen, wie er auf den Zehenspitzen steht, während er glaubt, sie alle zu überragen. Wer in der Welt etwas erbeuten will, wird zur Beute der Welt. Wer von der Welt erbeutet wurde, kann nicht einmal mehr sein eigenes Wesen gelten lassen. Wie sollte er da andere Menschen anerkennen? Doch wer die anderen nicht gelten lassen kann, wird von niemandem geliebt, und wer nicht geliebt wird, ist ein verlorener Mensch.«

EIN BLICK IN DIE ZUKUNFT

    Die Flüchtlinge wollten gerade ihre Pferde losbinden, um ihre Reise fortzusetzen, als sie das näher kommende Geräusch galoppierender Pferde hörten.
    »Wartet hier auf mich! Ich will einen Blick auf die Reiter werfen«, sagte Min Teng und bewegte sich mit schnellen Schritten auf den Waldweg zu, bis er sich hinter einem dichten Gebüsch versteckte, durch das er den Weg beobachten konnte, ohne Gefahr zu laufen, dabei entdeckt zu werden.
    »Es waren fünf Männer«, berichtete er, nachdem er zu Tschuang Tse und Yu Lin zurückgekehrt war. »Sie kamen von Norden, sahen aus wie Wegelagerer und führten
zwei Pferde mit sich, die sie wohl erbeutet haben. Vielleicht sind auch zwei von ihnen bei einem Kampf ums Leben gekommen, und die anderen haben ihre Pferde mitgenommen.«
    »Wie es sich auch verhalten mag: Wir können von großem Glück reden, daß wir ihnen nicht in die Hände gefallen sind!« stellte Tschuang Tse fest.
    »Wir wären ihnen in die Hände gefallen, wenn wir unsere Rast früher beendet hätten«, sagte Min Teng.
    »Wir haben sie nicht früher beendet, weil Yu Lin das Buch Lao Tses aus der Satteltasche gezogen und uns daraus vorgelesen hat«, bemerkte Tschuang Tse. »Wenn zwei Männer und eine Frau reisen, sollte es so sein, daß die Männer sie vor Gefahren beschützen. Ich habe den Eindruck, daß es bei uns andersherum ist.«
    Yu Lin senkte verlegen den Blick.
    Min Teng spürte, wie seine Gefühle zu ihr aus der Tiefe der Seele in seine Augen aufstiegen, je länger er sie ansah. Als hätte sie es wahrgenommen, hob sie den Blick und schaute ihm ins Gesicht. Vom Zauber des Augenblicks gebannt, waren sie ganz Auge füreinander und vergaßen für eine Weile die Zeit und auch Tschuang Tse, der seine in Liebe vereinten Begleiter lächelnd betrachtete und sich an ihrem Glück erfreute.
    Schließlich banden die Flüchtlinge ihre Pferde von den Baumstämmen los, führten sie auf den Waldweg zurück und setzten die Reise nach Norden fort.
    Sie waren noch nicht lange geritten, als sie unweit des Weges auf dem Waldboden die Leichen zweier
Männer mittleren Alters entdeckten, deren Leben mit Schwerthieben zerstört worden war – allem Anschein nach erst vor kurzer Zeit.
    »Sie sind den fünf Reitern zum Opfer gefallen, denen wir entgangen sind, und wurden von ihnen ermordet und ausgeraubt«, brach Min Teng das betroffene Schweigen. »Die Wegelagerer haben sich ihre Pferde und ihren Besitz angeeignet. Nicht einmal die Schuhe haben sie ihnen gelassen. Die Toten tragen die Kleidung von Kaufleuten, aber vielleicht waren sie auch Schmuggler.«
    »Was in gewisser Weise auf das gleiche herauskäme«, sagte Tschuang Tse. »Kaufleute und Schmuggler erzielen dadurch Gewinne, daß sie Waren billig einkaufen und teuer verkaufen. Kaufleute bewegen sich dabei innerhalb der Landesgesetze, Schmuggler handeln außerhalb dieser Vorschriften. Darin unterscheiden sie sich, doch beide können sie Opfer derer werden, die sich außerhalb der Gesetze des Herzens bewegen.«
    »Wann werden die Menschen lernen, das Leben der anderen zu achten?« fragte Yu Lin mit trauriger Stimme.
    »Niemals«, prophezeite Tschuang Tse.
    Als Yu Lin einen zweiten Blick auf die ermordeten Männer warf, veränderte sich ihr mitfühlender Gesichtsausdruck. Zur Überraschung ihrer Begleiter stieg sie von ihrem Pferd, ging mit langsamen Schritten auf die Leichen zu und betrachtete ihre Gesichter aus der Nähe.
    »Kennst du diese Männer?« fragte Min Teng.
    Yu Lin schien seine Frage nicht zu hören, zumindest reagierte sie nicht darauf.

    Erst nach einer Weile wandte sie sich um, kam mit ernster Miene zurück und stieg auf ihr Pferd. »Ich kenne sie nicht, aber ich habe ihre Gesichter schon einmal gesehen – in einem meiner ersten Wahrträume. Diese beiden Männer haben die vierzehnjährige Tochter des Fischers in dem Wald nahe der Stadt He Jing mißhandelt und getötet.«
    »Es ist gut zu wissen, daß das gleichgültige Schicksal manchmal doch für Gerechtigkeit sorgt«, sagte Min Teng.
    Nachdem die Reisenden eine
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