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Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Das geraubte Leben des Waisen Jun Do

Titel: Das geraubte Leben des Waisen Jun Do
Autoren: Adam Johnson
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kreischte, als sie sah, wie Kommandant Park mit dem Kartonagenmesser auf den Hund einstach, und als das Blut zu spritzen begann, rannte sie hysterisch auf das Flugzeug zu. Ihr ruhiggestellter Athletenkörper, der ein ganzes Jahr unter der Erde dahinvegetiert hatte, ließ die Arme pumpen und gab sein Bestes.
    Schon bald war das Hundefell mit schwarzem Blut getränkt. Als Kommandant Park brutal mit dem Cutter auf den Hund einstach, fiel der über die Hacken des Mannes her. Die Zähne schlugen sich in die Knochen.
    »Schießt doch!«, brüllte Park. »Erschießt das Scheißvieh!«
    Die MfSS-Leute unter den Zuschauern zogen ihre Tokarews. Beim Anblick der Pistolen stob das Volk in alle Richtungen auseinander. Genosse Buc brauste im Höchsttempo in Schlangenlinien zwischen den amerikanischen Sicherheitsbeamten hindurch, die schützend auf den Senator und seine Delegation zustürzten.
    Der Geliebte Führer stand allein da, völlig orientierungslos, mit seinen Gedanken noch bei einer langen, erst halb fertigen Widmung. Er hatte das blutige Spektakel direkt vor Augen, aber ein nicht von ihm orchestriertes Ereignis schien sein Gehirn nicht verarbeiten zu wollen.
    »Was geht hier vor sich, Ga? Was ist los?«, fragte der Geliebte Führer verwirrt.
    »Ein gewalttätiger Zwischenfall, Geliebter Führer«, unterrichtete ihn Ga.
    Der Geliebte Führer ließ den Füllfederhalter des Friedens fallen. »Sun Moon!«, keuchte er. Er drehte sich nach dem Tempelchen um und durchwühlte seine Taschen nach dem Silberschlüssel. So schnell er konnte trabte er auf die Umkleide zu, sein Bauch wogte unter dem grauen Einteiler. Mehrere von Kommandant Parks Männern folgten, und Ga rannte ihnen hinterher.
    Hinter ihnen wälzten sich Mann und Hund im blutigen Zweikampf am Boden, und die Hundezähne wollten einfach nicht loslassen.
    Vor der Umkleidekabine zögerte der Geliebte Führer unsicher, als stehe er vor dem echten Tempel von Pohyon – Bastion gegen die Japaner im Imjin-Krieg, Wirkungsstätte des berühmten Kriegermönchs Sosan, Aufbewahrungsort der Annalen der Yi-Dynastie.
    »Sun Moon!«, rief er. Er klopfte an die Tür. »Sun Moon!«
    Er steckte den Schlüssel ins Schloss und schien nichts von den Pistolenschüssen und dem letzten Aufjaulen des Hundes hinter sich mitzubekommen. Der kleine Raum war leer. An der Wand hingen drei Chosŏnots – weiß und blau und rot. Auf dem Boden lag ihr Instrumentenkoffer. Der Geliebte Führer bückte sich und klappte ihn auf. Darin war die Gitarre . Er zupfte eine Saite.
    Der Geliebte Führer drehte sich zu Ga um. »Wo ist sie? Wohin ist sie gegangen?«
    Ga erwiderte: »Und wo sind ihre Kinder?«
    »Genau«, sagte er. »Die Kinder sind auch weg. Aber wo kann sie denn sein, ohne ihre Kleider?«
    Der Geliebte Führer berührte alle drei Chosŏnots , als müsse er sich überzeugen, dass sie echt waren, und schnupperte an einem Ärmel. »Ja, das sind ihre«, sagte er. Etwas lag auf dem Boden. Er hob es auf: Zwei Fotos, Rücken an Rücken aneinandergeheftet. Auf dem ersten war ein junger Mann zu sehen, das Gesicht verdüstert von Unsicherheit. Dann drehte der Geliebte Führer die Bilder um: eine zermalmte, dreckverkrustete menschliche Gestalt auf dem Boden, den Mund weit aufgerissen und randvoll mit Erde.
    Der Geliebte Führer schauderte und warf die Bilder von sich.
    Er trat nach draußen, wo die Flugzeugturbinen aufheulten, während sich der Laderaum hydraulisch schloss. Suchend lief der Geliebte Führer einmal um das Tempelchen herum, dann richtete er den Blick unerklärlicherweise in die Wolken.
    »Aber ihre Kleider sind doch hier!«, sagte er. »Da, da hängt ihr rotes Kleid.«
    Genosse Buc kam angefahren und stieg vom Gabelstapler. »Ich habe Schüsse gehört«, sagte er.
    »Sun Moon ist weg«, unterrichtete ihn Ga, bemüht um ein ratloses, besorgtes Gesicht.
    »Aber das ist doch unmöglich«, erwiderte Buc. »Wo kann sie denn sein?«
    Humpelnd stieß Kommandant Park zu ihnen. »Dieser verdammte Hund«, ächzte er und holte tief Luft. Er hatte viel Blut verloren.
    Der Geliebte Führer sagte nun auch: »Sun Moon ist weg.«
    Schwer atmend beugte Park sich vor und stützte sich mit seiner guten Hand auf dem unverletzten Knie ab. »Sämtliche Bürger verhaften«, befahl er seinen Männern. »Papiere überprüfen. Im gesamten Gelände ausschwärmen, alle Flugzeugwracks durchsuchen, und besorgt jemanden, der die Kloake da hinten ausbaggert.«
    Der Jumbojet der Amerikaner beschleunigte auf der Startbahn;
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