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Das Geiseldrama

Das Geiseldrama

Titel: Das Geiseldrama
Autoren: Stefan Wolf
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behalten.
    Dikal ließ die belutschten
Bartfransen los. Sie waren feucht wie seine Schwarzlackaugen, in denen keine Wärme
schimmerte — es sei denn, er konnte besonders schlechte Zensuren verteilen.
    „Schon vergessen!“ meinte er —
mit einer Großmütigkeit, die sonst nicht seine Art war. „Warte hier! Kannst mir
helfen, den neuen Steckbrief anzuheften.“
    Jetzt übertreibt er, dachte
Tarzan.
    Dikal, der Molch, stapfte zum
Lehrerzimmer, wo — wie man wußte — Steckbriefe auf Vorrat waren. Direktor Dr.
Freund hatte sie vom Polizei-Präsidium erhalten.
    Der Molch, also! Tarzan nickte
im stummen Selbstgespräch. Eigentlich liegt’s auf der Hand. Daß er alles
beschissen findet in unserem Land, hat er schon mehrmals gesagt. Aber das haben
wir für Sprüche gehalten, mit denen er sich aufblasen will. Er findet alles
mies, und man müsse neue Wege gehen. Hat er auch gesagt. Und Revolutionen
findet er grundsätzlich gut — auch die, wo dann die Überlebenden bis zum
Knöchel im Blut standen. Wer geistig so gebaut ist, der hält Terroristen für
Abenteurer. O weh!
    Dikal kam zurück. Das Grinsen
stand ihm etwas schief im Gesicht.
    „So, da hätten wir noch einen Steckbrief.
Den zwecken wir jetzt an.“
    Das hätte einer geschafft,
sogar mit zwei linken Händen. Aber Dikal beschäftigte Tarzan, als gelte es, den
Flur zu tapezieren.
    Einlullen will er mich! Hast du
dir gedacht!
    Der Steckbrief war fast so groß
wie das Wahlplakat einer wohlhabenden Partei. Die rote Farbe fiel auf, die
schwarze Schrift ertrank darin etwas.
    Sieben Terroristen waren
abgebildet, wobei natürlich nicht feststand, ob ihr derzeitiges Aussehen den
Fotos entsprach. Es waren: Arved von Lotzka, Martin Macke, Felix Ohnesorge,
Francesca Oliviri, Hanna Neu, Heinz Schorbach und Erwin Roland.
    Tarzan wußte die
Personenbeschreibung auswendig, hielt aber die Wahrscheinlichkeit, den Weg
eines Terroristen zu kreuzen, für äußerst gering. Die lebten, wie man ja wußte,
im Untergrund, wechselten häufig die Wohnung, benutzten gefälschte Papiere und
veränderten ihr Äußeres mit Bärten, Perücken, Kontaktlinsen und anderen Tricks.
Sie verübten Anschläge, wenn die Öffentlichkeit nicht damit rechnete, und ihren
Lebensunterhalt bestritten sie mit Bankraub.
    „So“, sagte Dikal. „Das hätten
wir.“
    Er lutschte am Daumen, wo er
sich mit einer Reißzwecke verletzt hatte.
    „Brauchen Sie mich noch?“
fragte Tarzan.
    „Nein, zisch ab!“
    Tarzan trollte sich den Flur
hinab zur 9 b, seiner Klasse.
    Die Stille hinter der Tür
konnte nur bedeuten, daß sich die meisten im Freien befanden: irgendwo in der
weitläufigen Anlage der Internatsschule.
    Freilich — der Rest der
TKKG-Bande war vorhanden.
    Karl, der Computer, hing in
seiner Bank und hatte die Brillengläser auf einen dickleibigen Wälzer gesenkt.
Er las irgendwas sehr Schlaues, das nicht mal alle Pauker verstanden, und
fütterte es seinem Gehirn ein, wo es dann blieb und blieb und blieb.
    Klößchen kaute, war aber gerade
fertig und leckte sich über die Lippen. Seine Zunge war braun. Er hatte auch
braune Fingerkuppen, und Schokoladenkrümel waren auf sein Heft gefallen, wo sie
jetzt im Sonnenlicht schmolzen, was er aber nicht merkte, denn den englischen
Vokabeln schenkte er keinen Blick.
    Gaby machte die
Englisch-Übersetzung, hatte sich über ihr Heft gebeugt und schrieb. Der
goldblonde Pony hing ihr tief in die Augen. Ihre dunklen Wimpern flatterten
etwas — wie immer, wenn sie angestrengt nachdachte.
    Ihr Anblick wärmte Tarzan das
Herz. Wie hübsch sie ist! dachte er. Stimmt schon: Eins der hübschesten Mädchen
überhaupt. Und für mich die Hübscheste!
    Beinahe wäre er in Träumerei
versunken. Stattdessen gab er sich einen Ruck und trat zu ihr. Sie saß allein.
Ringsum waren Plätze frei. Aber in den vorderen Bänken hockten einige
Mitschüler. Sie lasen, schrieben oder pennten. Was Tarzan mitzuteilen hatte,
war nicht für ihre Ohren bestimmt.
    Er winkte Karl und Klößchen
herbei. Gaby schraubte ihren Füller zu.
    „Eben habe ich den Molch
erwischt, als er den Steckbrief abriß“, sagte Tarzan leise. „Aber er konnte
sich rausreden.“
    Er berichtete. Durch die Zähne
machte Karl: „ts ts ts!“ Gabys Kornblumenaugen überzogen sich mit einem Hauch
von Besorgnis.
    „Dieser Terror-Molch“, empörte
sich Klößchen. „Das ist ja fast eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Und das am
Vormittag! Der macht’s, und wir müssen die Rübe dafür hinhalten.
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