Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone

S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone

Titel: S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone
Autoren: Bernd Frenz
Vom Netzwerk:
Prolog
    KIEW, 31. OKTOBER1999
    Hotel Imperial
    Die Übelkeit setzte genau in dem Augenblick ein, als Doktor Wolkow den schlechten Geschmack, der ihm schon seit Stunden auf der Zunge lag, mit einem Glas Wodka hinunterspülen wollte. Der Blutdruck des schmächtigen Wissenschaftlers sackte unversehens ab. Wolkow geriet ins Straucheln. Schwarze Punkte explodierten vor seinen Augen. Er versuchte noch, das halb volle Glas zurück auf den runden Tisch zu stellen, doch zu spät, es entglitt seinen zitternden Fingern. Mit einem dumpfen Klacken streifte es die stählerne Einfassung des Rauchglastisches, bevor es auf den platt getretenen Teppichboden schlug und zerbarst.
    Das Hotel, in dem man ihn einquartiert hatte, war ein sozialistischer Bau aus den Siebziger Jahren. Tristesse in Reinkultur. Grauer, eilig in die Höhe gezogener Beton. Ein unansehnlicher Klotz, der die benachbarten Gebäude zwar um mehrere Stockwerke überragte, in puncto Hässlichkeit aber perfekt ins Viertel passte.
    Spuren größerer Renovierungen suchte man im Imperial vergebens. Selbst nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums hatte es nur zu einem neuen - jetzt englischen - Namen und einigen Schönheitsreparaturen gereicht. Nicht nur das Mobiliar, auch die sanitären Einrichtungen wirkten abgenutzt und ramponiert.
    Alles in allem ein deprimierender Anblick, auch ohne die Übelkeit, die wie mit glühenden Klingen in Wolkows Gedärmen wühlte.
    Stöhnend ließsich der Atomphysiker in einen der beiden Ledersessel fallen, die den Rauchglastisch flankierten. Eine Schicht aus heißen Schweißperlen bedeckte seine Stirn. Abwechselnd fasste er sich an die Schläfen und an den Bauch, ohne entscheiden zu können, wo eigentlich das Zentrum der wallenden Schmerzen lag.
    „Verdammt", wimmerte er leise. „Ist es schon so weit?"
    Mit Schrecken dachte er an den erst wenige Stunden zurückliegenden Besuch im Sanatorium und an seine drei Kollegen mit den bleichen ausgemergelten Gesichtern, die er kaum wieder erkannt hatte. Ihre leeren Augen und der feine Speichelfaden, der Poroschenko aus dem Mundwinkel geronnen war, waren ihm noch deutlich in Erinnerung.
    Warum hatten sie sich nur auf diese verdammte Inspektion eingelassen? Ihr Besuch in Tschernobyl lag nun schon drei Monate zurück, doch Wolkow schien es, als wäre es erst gestern gewesen.
    „Muss weiterschreiben", brabbelte er leise vor sich hin. „Bevor es zu spät ist. Bevor ich nicht mehr richtig denken, nichts mehr formulieren kann - so wie sie."
    Er sprach zu sich selbst, um seine Konzentration zu schärfen. In letzter Zeit passierte es ihm einfach zu oft, dass er Dinge, die er begann, nicht mehr zu Ende führte. Seine Gedanken schweiften häufig von einer Sekunde auf die andere ab; dem musste er mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegen wirken.
    Verdammt. Er war gerade mal vierzig und damit viel zu jung für Alzheimer!
    „Nein, nein, nein." Wolkow schüttelte verdrossen den Kopf. „Daran ist nur diese verdammte Inspektion Schuld. Die haben da irgendwas mit unseren Köpfen gemacht. Damit wir nicht zu viele Fragen stellen und sie uns nicht alles zeigen müssen."
    Seine Hände tasteten nach einem alten abgewetzten Schreibblock und dem klobigen Füller mit der goldenen Spange, ein Familienerbstück, das von Generation zu Generation weitergereicht wurde. Der Füller hatte ursprünglich seinem Großvater mütterlicherseits gehört, einem Chirurgen aus Minsk, und war ihm von seinen Eltern feierlich zur bestandenen Doktorarbeit überreicht worden.
    Kratzend glitt die Feder über das raue Papier. Tinte quoll hervor und zerfloss zu krakeligen Buchstaben, die nur wenig Ähnlichkeit mit der sonst so exakten und feinen Schrift des Atomphysikers hatten. Mit fahrigen Bewegungen setzte Doktor Wolkow den bereits begonnenen Text fort.
    „Die Welt muss erfahren, was in der Anlage vor sich geht." Wolkow schüttelte den Kopf, um den Schleier vor seinem Blick zu vertreiben. „Ja, das ist wichtig. Ganz wichtig! Unserer Regierung darf man nicht mehr trauen. Sie verheimlicht, was eigentlich ans Licht der Öffentlichkeit gehört."
    Die Buchstaben, die er zu Papier brachte, wurden immer größer und unförmiger, bis ihm auffiel, dass er nur noch Kreise malte. Entsetzt hielt Wolkow inne. Er wollte vor Wut aufschreien, brachte aber nur ein Wimmern zustande.
    Glühender Schmerz durchzuckte seine Gehirnwindungen, gleichzeitig überkam ihn die Übelkeit in immer neuen Schüben.
    Beide Hände fest gegen den Bauch gepresst,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher