Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone

S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone

Titel: S.T.A.L.K.E.R. 01 - Todeszone
Autoren: Bernd Frenz
Vom Netzwerk:
Windstöße fuhren durch die klaffende Öffnung und zerrten an Wolkows braunem Straßenanzug.
    Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Anstrengung hatte ihn aus der Puste gebracht, trotzdem gönnte er sich keine Pause. Glas knirschte unter seinen Sohlen, als er ans Fenster trat. Aus der Tiefe drang Fahrzeuglärm herauf. Sein Trommelfell fing ihn ein, doch das Hirn blendete alle Geräusche aus.
    Wie in Trance langte er in die entstandene Öffnung. Spitz zulaufende Scherben, die noch im Rahmen steckten, zerschnitten seine Handflächen, doch er spürte keinen Schmerz.
    Mühsam pflanzte Wolkow den rechten Fuß auf die untere Scherbenreihe und zog sich ganz in das Fensterloch. Umgeben von einem Kranz aus Glaszacken, kauerte er reglos da. Kalter Wind zerzauste sein graues Haar und zupfte an den Rockschößen seines Anzugs.
    Plötzlich, ohne jede Vorwarnung, kippte er vornüber und stürzte stumm elf Stockwerke in die Tiefe, bevor sein Körper auf dem gleichen Waschbeton zerschmetterte, der schon den Ledersessel zerlegt hatte.

KIEW, 1. NOVEMBER1999
    3:00 UHR MORGENS
    Alexander Marinin hatte es schon vor langer Zeit aufgegeben, dem Rauchen abschwören zu wollen. Als ihm bei Betreten der Suite der Geruch von Erbrochenem in die Nase stieg, zögerte er deshalb nicht lange, sondern kramte eine Zigarettenschachtel hervor. Keine Camel, Marlboro oder anderer westlicher Kinderkram, sondern russische Lungenkiller ohne Filter. Genau die Marke, vor der er seine Kinder gewarnt hätte.
    Rasch klopfte er eines der dünnen Stäbchen aus der weichen Packung und zündete es mit einem alten Benzinfeuerzeug an. Die ersten Züge schmeckten wie ein Schluck aus der Petroleumflasche, aber der Rauch, den er durch die Nase ausblies, vertrieb den Gestank der das Zimmer erfüllte. Klackend ließ er das Feuerzeug wieder zuschnappen und versenkte es zusammen mit dem Päckchen in den Untiefen seines alten Armeemantels.
    Ein uniformierter Beamter, der bisher nutzlos herumgestanden hatte, trat erbost auf ihn zu. Nach einem Blick auf das Plastikschild, das an seiner Brusttasche baumelte, verzichtete er aber darauf, ihn wegen der brennenden Zigarette anzublaffen.
    Alexanders Name hatte sich also schon bis in die Niederungen der Kiewer Schutzpolizei herumgesprochen. Immerhin etwas.
    „Ah, Major, da sind Sie ja endlich." Hauptmann Kostenko -sein Kontakt zur hiesigen Behörde, der nahe des Fensters am Boden kniete - sprang auf und kam auf ihn zu.
    Stets flink und agil, selbst wenn es nur galt, knapp drei Meter zu überbrücken. Kostenko verkörperte beinahe alles, was Alexander hasste. Der Kerl war jung, erfolgreich und übereifrig. Außerdem trug er Sachen, die sich kein Provinz-Major leisten konnte. Jedenfalls keiner aus Tschernobyl.
    Kostenko musste Verwandte im Westen haben oder eine kleine Schwester, die in Mailand auf den Strich ging, anders ließ sich sein italienischer Anzug kaum erklären. Federnd kam er vor Alexander zum Stehen und runzelte die Stirn, als er dessen Zigarette bemerkte.
    Alexander tippte die Asche seiner Zigarette in die linke Hand, um zu demonstrieren, dass er den Tatort nicht zu verunreinigen gedachte. Sein Blick verirrte sich dabei zu einem Spiegel, der über einer billigen Pressholzanrichte mit Fichtenfurnier hing.
    Was er darin sah, ließ keine Hochstimmung aufkommen. Es war das zerfurchte Gesicht eines Mannes, dessen Alter sich in der schwer bestimmbaren Zone zwischen Dreißig und Vierzig bewegte. Ein Leben voller Nachtschichten und Überstunden hatte ihm tiefe, wie mit einem Messer geritzte Furchen beschert. Die grobporige Haut selbst lag in der Familie, obwohl falsche Ernährung und übermäßiger Zigarettenkonsum ihr Scherflein dazu beigetragen hatten.
    Manche Frauen fanden Alexander auf den ersten Blick abstoßend, andere hielten seine markanten Züge für interessant - wie glücklicherweise auch die Mutter seiner beiden Kinder.
    Alles in allem konnte er mit sich zufrieden sein. In den letzten zwanzig Jahren hatte er sein Gewicht gehalten. Regelmäßige Runden auf der Aschenbahn sorgten außerdem für eine kräftige Muskulatur. Auch das dunkelblonde Haar war ihm geblieben, obwohl es sich bereits an der Stirn zu lichten begann. Das Einzige, was ihn manchmal selbst erschreckte, waren seine kalten glanzlosen Pupillen, die einfach schon in zu viele menschliche Abgründe geblickt hatten.
    Dabei waren seine graublauen Augen sein größtes Kapital. Manchmal genügte es ihm, einen Verdächtigen streng damit zu fixieren, und der Kerl
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher