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Das Bild - Geschichte einer Obsession

Titel: Das Bild - Geschichte einer Obsession
Autoren: Jean de Berg
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Vorwort
    Wer ist Jean de Berg? Jetzt ist es also an mir, mich mit Rätseln zu amüsieren. Am wenigsten gewiß scheint mir, daß ein Mann dieses kleine Buch geschrieben hat. Es ergreift zu sehr Partei für die Frauen.
Und dabei sind es gerade die Männer, die im allgemeinen ihre Geliebten in die Freuden der Ketten und der Peitsche, in die Erniedrigung, in die Foltern einführen... Doch sie wissen nicht, was sie tun.
Sie meinen, diese naiven Gemüter, sie würden auf diese Weise ihren Hochmut, ihren Machthunger befriedigen oder sogar die Rechte irgendeiner althergebrachten Überlegenheit ausüben. Um das Mißverständnis noch zu vergrößern, bestätigen unsere weiblichen Intellektuellen sie zudem in dieser Einschätzung, indem sie versichern, die Frau sei frei, die Frau sei dem Manne gleichgestellt, sie wolle sich nicht länger unterdrücken lassen... Genau darum aber geht es doch!
Sobald der Liebhaber etwas Fingerspitzengefühl besitzt, wird er sich schnell seines Irrtums bewußt: Er ist zwar der Herr, aber er ist es nur dann wirklich, wenn seine Gefährtin es will! Nie noch hat das Verhältnis zwischen Herr und Sklave so gut die auf dieser Dialektik beruhenden Beziehungen verdeutlicht. Niemals ist das geheime Einverständnis zwischen Opfer und Peiniger so notwendig gewesen. Sogar gefesselt, auf Knien, demütig bittend ist sie letzten Endes diejenige, die befiehlt.
Und sie weiß es wohl. Ihre Macht wächst im Verhältnis zu ihrer scheinbaren Erniedrigung. Mit einem einfachen Blick kann sie alles unterbrechen, mit einem Schlag alles zunichte machen.
Hat sich das Einverständnis um den Preis dieses gleisnerischen Wissens erst einmal eingestellt, kann das Spiel weitergehen. Aber es hat eine andere Bedeutung bekommen: Die allmächtige Sklavin, die zu Füßen des Opferpriesters kriecht, ist zum Gott selbst geworden. Der Mann ist nur noch der Priester, schwach und davor zitternd, einen Fehler zu begehen. Seine Hand dient nur noch dem Zweck, das Zeremoniell um das heilige Objekt auszuführen. Verliert er die Gnade, stürzt alles zusammen!
Das erklärt auch die feierlichen und erstarrten Stellungen, die man in dieser Erzählung finden wird, ihre Riten, ihr an eine Messe erinnerndes Dekor, den Fetischismus ihrer Objekte. Die ausführlich beschriebenen Fotografien sind nichts anderes als fromme Bilder, die Stationen eines neuen Kreuzweges.
Wie jede Liebesgeschichte spielt diese zwischen zwei Personen. Aber die eine von beiden beginnt sich zu spalten: in diejenige, die sich hingibt, und in diejenige, die straft. Sind dies nicht die beiden Seiten unseres seltsamen Geschlechts, das sich dem anderen ausliefert, sich aber nur sich selbst bewußt ist?
Ja, die Männer sind naiv, die möchten, daß man sie vergöttert, während sie doch im Grunde fast nichts sind. Wie sie vergöttert auch die Frau nur diesen zerrissenen Körper, abwechselnd liebkost und geschlagen, offen für jede Schmach, der allerdings der ihre ist. Der Mann bleibt in dieser Sache gänzlich ungeteilt: er ist der Gläubige, der vergeblich danach strebt, eins zu werden mit seinem Gott.
Die Frau dagegen, die ebenfalls gläubig ist und dazu diesen ängstlichen Blick (auf sich selbst) besitzt, bleibt zugleich auch noch das betrachtete, geschändete, unablässig geopferte und stets neugeborene Objekt, und ihre ganze Lust besteht darin, durch ein subtiles Spiel von Spiegeln ihr eigenes Bild zu betrachten.
P. R.
    für Pauline Réage

I. Ein Abend bei den X...
    Das erste Mal sah ich Claire in jenem Sommer wieder, auf einer Soiree, mitten unter Freunden bei den X..., Boulevard Montparnasse. Was mich am meisten überraschte, als ich sie bemerkte, war dieses unveränderte Aussehen ihrer ganzen Person, als hätte ich sie am Tag zuvor verlassen, während ich doch sicher war, daß ich ihr seit mehreren Jahren, zwei oder drei vielleicht, oder länger, nicht begegnet war.
Sie reichte mir die Hand, ohne die geringste Überraschung zu zeigen, und sagte nur: «Guten Tag», in dem Ton, in dem sie es gesagt hätte, wenn wir uns tags zuvor verlassen hätten. Ich antwortete: «Guten Tag, Claire», im gleichen Ton, oder fast dem gleichen, vermutlich.
Anschließend sah ich andere Personen und schüttelte andere Hände, meist von Leuten, die ich gewohnt war, jede Woche einmal zu treffen, dort oder anderswo, alle irgendwie Schriftsteller oder Kunstliebhaber. Mit mehreren von ihnen verbanden mich gemeinsame Interessen, laufende Geschäfte, über die wir recht ausführlich sprachen, in kleinen
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