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Das Bild - Geschichte einer Obsession

Titel: Das Bild - Geschichte einer Obsession
Autoren: Jean de Berg
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künstlerisches Foto bewundern zu lassen. Niemals hatte sie bis dahin versucht, mich außerhalb dieser Gesellschaften wiederzusehen, auf die der Zufall uns von Zeit zu Zeit führte und auf denen wir ein paar Stunden mit denselben Leuten verbrachten. Ich meinerseits hatte keine hartnäckigen Versuche unternommen, in unsere Beziehung mehr Leidenschaft zu bringen. Ich erwähnte bereits, wie wenig mich diese zu vollkommene, zu ebenmäßige, zu unwandelbare Schönheit anzog.
Ich erinnerte mich überdies nicht, daß meine anfänglichen schüchternen Aufmerksamkeiten auch nur im geringsten ermutigt worden wären, ganz im Gegenteil. Ja, es gelang mir, als ich daran zurückdachte, während ich auf der Terrasse des Royal auf sie wartete, nicht einmal, mich zu erinnern, daß sie jemals irgend jemanden anders behandelt hätte. Sie war sehr frei in ihrem Benehmen, selbstsicher, verwegen, und sie liebte den Skandal. Doch sie entmutigte sofort die allzu zärtlichen Seufzer wie übrigens auch die unverhüllteren Angebote, die zu erhalten sie zuweilen ebenfalls die Ehre hatte.
Einmal zumindest war es mir zuteil geworden, der Hinrichtung eines Verehrers beizuwohnen. Ich hatte damals eine Art Haß in der eiskalten Verbissenheit zu erkennen geglaubt, mit der sie ihn vernichtete.
Die Szene hatte uns damals alle überrascht, denn es handelte sich um einen schönen Jungen, nicht ohne Sensibilität und Intelligenz, der bisweilen den Gerüchten zufolge als ihr Geliebter galt.
Es war die kleine Anne, die ich auf mich zukommen sah. Sie trug dasselbe weiße Kleid wie am Abend zuvor. Um zwischen den anderen Gästen hindurchzugehen, ohne sie zu stören, wand sie sich mit den anmutigen Schlangenbewegungen einer Tänzerin mit erhobenen Armen, sich in den Hüften wiegend und sich halb um sich selbst drehend, zwischen den Sesseln und Tischen hindurch. Als sie mir gegenüberstand, machte sie ihren diskreten, ein wenig zeremoniellen Hofknicks, wie man ihn den kleinen Pensionsschülerinnen der religiösen Internate beibringt. Und ihre Stimme war die einer braven Schülerin:
«Sie ist da, Monsieur. Sie erwartet Sie im Wagen.»
Diese Formulierung überraschte mich, nicht nur, weil Claires Name darin nicht vorkam, sondern auch wegen des übertriebenen Respekts, den sie in das Wort «Monsieur» gelegt hatte.
Ich stand auf, um ihr zu folgen. Claires Wagen war etwas weiter entfernt, in der Rue de Rennes, geparkt. Bevor wir ihn erreichten, hatte ich Zeit, dem jungen Mädchen zwei oder drei belanglose Fragen zu stellen; aber sie erwiderte nur «Ja, Monsieur», «Nein, Monsieur» und «Ich weiß nicht, Monsieur», wie ein Kind.
Der Wagen war ein nagelneuer schwarzer 15 CV. Anne öffnete mir die Wagentür, und ich begrüßte Claire, die am Steuer saß. Sie antwortete mir nur mit einem leichten Kopfnicken. Ich ließ das junge Mädchen einsteigen und setzte mich meinerseits neben sie, auf den Vordersitz, wo gerade genug Platz für drei Personen war.
Claire gab sofort Gas. Sie führ ruhig und sicher. Trotz des ziemlich dichten Verkehrs führ sie schnell und erreichte sofort weniger befahrene Verkehrsadern.
Das Wetter war sehr schön. Die beiden Frauen schwiegen und blickten geradeaus. Anne saß mit steifem Oberkörper da, die Beine eng aneinandergepreßt, die gefalteten Hände ruhten auf ihren Knien.
Ich war leicht zur Seite gerückt, um nicht zu viel Platz einzunehmen. Ich streckte den linken Arm aus und legte ihn hinter dem Mädchen auf die Rückenlehne. Dabei streifte ich leicht die Schulter von Claire, die instinktiv zurückwich. Sofort zog ich meine Hand wieder weg.
Da ich meiner Nachbarin zugewandt war, nahm ich den Duft ihres Parfüms wahr. Es war unauffällig genug, um keine Aufmerksamkeit zu erregen, es sei denn, man kam ihr ganz nahe. Gleichwohl schien es mir stark, betäubend, sehr nach Moschus duftend, das, was man gemeinhin sinnlich nennt. Es war ganz offensichdich kein Parfüm für ein junges Mädchen.
Ich sagte, es sei ein schöner Tag, ohne eine von beiden direkt anzusprechen. Ich erhielt keine Antwort. Wir führen schweigend weiter. Mir war das ganz recht, denn auch ich hatte keine Lust zu sprechen.
Am Eingang des Parks stiegen wir aus dem Wagen, und Claire führte uns zum Rosengarten.
Dort angekommen mußten wir, anstatt daß Claire uns von Blume zu Blume flanieren ließ, die drei oder vier Züchtungen bewundern, die sie für besonders gelungen hielt und deren Standort sie kannte. Es waren lauter Blumen des gleichen Typs: groß, aber nicht sehr
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