Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Geiseldrama

Das Geiseldrama

Titel: Das Geiseldrama
Autoren: Stefan Wolf
Vom Netzwerk:
sich. Ihr fehlt’s an Gesellschaft. Kommt
ihr mit?“
    Ute Hollmeier wohnte hier im
Internat, nämlich drüben im Pauker-Silo, wo sie — wie Tarzan wußte — ein
schickes Apartment hatte.
    „Ich glaube, so unangemeldet
geht das nicht“, meinte er. „Schließlich liegt sie im Bett. Wer weiß, ob sie
die Wimpern getuscht und ihr indisches Nachthemd angezogen hat. Ich meine, wenn
drei junge Herren aufkreuzen, will sie bestimmt nach was aussehen.“
    „Du meine Güte!“ Gaby verdrehte
die Augen. „Drei junge Herren? Eingebildet bist du wohl gar nicht. Da können
Ute Hollmeier und ich nur hohl lachen. Hihihih!“

     
    *
     
    Er ging an den Schaufenstern
vorbei, sah sein Spiegelbild und war zufrieden. Mit dem Erwin Roland, der auf
den Steckbriefen abgebildet war, hatte er keine Ähnlichkeit mehr. Nur zum
kleinen Teil lag das an dem Schnauzbart, den er jetzt trug. Viel mehr hatte ihn
die Krankheit verändert: ein heimtückisches Leiden. Die Haut färbte sich grauer
von Tag zu Tag. Auf den Knochen war kein Fleisch mehr, und die Augen lagen tief
in den Höhlen.
    Erwin Roland schwenkte ein in
die Gasse. Es war nur noch ein kurzes Stück bis zu seinem Hotel, einer
drittklassigen Absteige.
    Seit gestern war er hier in der
Stadt, auf der Flucht vor seinen eigenen Leuten, den Terroristen von der
BRIGADE STAATSFEIND. So nannten sie sich. Unter dieser Bezeichnung waren sie
berüchtigt.
    Er kam jetzt vom Bahnhof. Der
Tag war sonnig und mild. Etwas davon färbte ab auf seine Stimmung.
    Als er sein Hotelzimmer auf
schloß, pfiff er .vor sich hin. Er ging zum Rauchtisch, nahm die beiden
Schließfachschlüssel aus der Jackentasche und legte sie nebeneinander.
    Der eine trug die eingestanzte
Zahl 811, der andere war mit einer 97 gekennzeichnet.
    Erwin Roland grinste. Doch
plötzlich hob er die Nase und sog prüfend die Luft ein. Sein Grinsen erlosch.
Hastig griff er zum Telefon.
    Während er wählte, begannen
seine Pulse zu jagen. Aber er zwang die Angst nieder.
    Am anderen Ende wurde
abgehoben.
    „Studio Roland“, sagte eine
Frauenstimme. „Elly Roland am Apparat.“
    „Elly, ich bin’s!“
    Schreck schien sie zu lähmen.
Er hörte, wie seine Schwester nach Luft schnappte.
    „Erwin? Mein Gott! Von wo rufst
du an?“
    „Ich bin in der Stadt. Ja,
hier! Seit gestern, Elly. Ich... muß es dir rasch sagen. Ausgestiegen bin ich.
Ja, ich habe mit der Terrorgruppe nichts mehr im Sinn. Es war Wahnsinn, mich
denen anzuschließen. Du hattest recht. Aber du weißt, weshalb ich damals so
verzweifelt war. Ich haßte alles, die Gesellschaft, den Staat, aber vor allem
mich selbst. Das habe ich inzwischen begriffen. Und ich haßte die Krankheit, an
der ich langsam, aber unaufhaltsam eingehe. Jetzt bin ich abgehauen, Elly. Aber
die ,Brigade Staatsfeind’ sucht nach mir. Heinz Schorbach ist hinter mir her.
Um mich zu töten, Elly. Aber das wird sein Tod sein. Die Falle ist
vorbereitet.“
    „Roland...“, stammelte Elly.
„Ich... verstehe nicht. Was... was... Himmel, wie kann ich dir helfen? Du bist
kein Terrorist mehr? Stell dich der Polizei, dann...“
    „Der Polizei kann ich mich
nicht stellen. Elly, ich habe nicht mehr lange zu leben. Und mein Ende wird
schlimm sein. Das bißchen Zeit, das ich noch habe, will ich genießen. Aber dazu
braucht man Geld in unserer Wohlstandsgesellschaft. Elly, ich habe über 400 000
Mark.“
    „Wie?“ Sie stotterte. „Was...
was für Geld ist... das?“
    „Es ist das Geld der ,Brigade
Staatsfeind’. Es ist deren Kasse. Das, was sie sich mit den letzten
Banküberfällen zusammengeraubt haben. Ich war nicht dabei. Aber ich habe ihnen
das Geld gestohlen — und ich habe es versteckt. Deshalb ist mir Heinz Schorbach
auf der Spur.“
    „Erwin! Das ist doch Wahnsinn!
Das...“
    „Hör’ mir zu!“ unterbrach er
sie. „Heinz Schorbach ist wie ein Fährtenhund. Eine Spur, die er einmal
aufnimmt, verliert er nicht wieder. Das Geld, Elly, ist für dich, falls er mich
finden sollte.“
    „Neiiin!“ schrie sie durch die
Leitung. „Ich will das Geld nicht.“
    „Ich lebe nicht mehr lange. Ich
könnte ohnehin nur einen geringen Teil verbrauchen, selbst wenn ich damit um
mich werfe, wenn ich prasse und meine letzten Tage in Saus und Braus verbringe.
Pass auf! Nachher schicke ich einen Brief an dich ab. Er enthält den Schlüssel
zu einem Schließfach im Bahnhof. Dort ist das Geld. Aber ich habe ein zweites
Schließfach vorbereitet. In dem liegt eine Bombe. Die Magnetzündung ist so
angebracht, daß die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher