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Die Prophezeiung

Die Prophezeiung

Titel: Die Prophezeiung
Autoren: Mona Nebl
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Kapitel 1: Die Kinder
    Die Wahrsagerin konzentrierte sich auf die dunkelgrün schimmernde Kugel vor sich. Das Leuchten wurde immer stärker, bis die ganze Kugel von goldenen Schlieren überzogen war. Moran riss die goldbraunen Augen auf. Sie spürte wie sich ihr Innerstes vor Anspannung zusammenzog.
    „Was siehst du, Arami?“, flüsterte sie ehrfurchtsvoll, aber die Alte ihr gegenüber schüttelte strafend den Kopf.
    „ Geduld, mein Kind, Geduld! Das Bild muss sich erst formen!“
    Moran versuchte im Inneren der Kugel etwas zu erkennen, vermochte es aber nicht. Enttäuscht wandte sie sich von der Kugel ab und beobachtete stattdessen die alte Frau.
    Arami war mindestens 90 Jahre alt, sicher wusste es niemand, da keiner in der ganzen Umgebung von Sorimok auch nur die Siebzig überschritten hatte. Die Zeiten waren hart, fast niemand in der gewöhnlichen Bevölkerung des kleinen Königreiches von Erimalia hatte mehr als unbedingt nötig an Nahrung. Krankheit und Seuchen durchzogen das Land. Nur die wenigen Reichen in der Hauptstadt Kaligor lebten im Überfluss. Arami sah aber ganz gewiss wie neunzig Jahre aus. Tiefe Furchen durchzogen das Gesicht der weisen Frau, welche die Menschen von nah und fern um Rat fragten. Die Augen leuchteten tiefdunkel in dem kleinen Gesicht. Braun und verhärmt war dieses durch die Arbeit, die ihr das tägliche karge Brot sicherte, geworden. Bei jedem Wetter flocht die alte Frau Weidenkörbe auf der wackligen Bank vor ihrer Hütte. Plötzlich zogen sich die großen Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Moran fuhr hoch und blickte schnell auf die Kugel. Für ihre Augen hatte sich nichts verändert, aber im nächsten Augenblick begann Arami mit einer ungewohnt heiseren, dunklen Stimme zu sprechen und Moran fühlte, wie ihr schlagartig kalt wurde.
    „ Du bist auserwählt, mein Kind! Eines Tages wirst du die ehrenvolle Aufgabe haben, zwei Kinder aufzuziehen, die unsere Welt verändern werden.“
    Moran begann zu strahlen, denn der Grund , warum sie die Wahrsagerin aufgesucht hatte, war die Kinderlosigkeit, die ihr während ihrer bereits drei Jahre andauernden Ehe mit dem Schmied Balin beschieden war. Balin behandelte sie dennoch liebevoll. Viele andere Männer hätten eine Frau, die keine Kinder hervorbringt, bereits längst verstoßen. Aber Balin liebte seine Moran. Dennoch fühlte sie, dass auch in ihm der Wunsch nach einem Sohn wuchs. Moran wünschte sich so sehr ein Kind, dass sie beinahe alles dafür getan hätte. Bevor sie sich allerdings zu sehr über Aramis Worte freuen konnte, wurde ihr ein erneuter Schlag vom Schicksal versetzt.
    Die alte Frau sah sie immer noch nicht an, sie starrte weiter in die golddurchwirkte grüne Glaskugel. Dann sprach sie wieder: „Es werden nicht deine eigenen Kinder sein, Moran. Du selbst wirst nie welche bekommen! Sie werden dir einst in einer sturmumtosten Nacht gebracht werden: ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen – keine Säuglinge mehr, aber noch sehr klein, die unser aller Schicksal in Händen halten. Ihr werdet noch in der gleichen Nacht aus Sorimok fortziehen müssen – nach Kaligor. Niemand darf ahnen, dass diese Kinder nicht deine eigenen sind. Zieht sie groß, ohne es ihnen zu sagen, aber bindet sie stark aneinander, denn nur zusammen werden sie diese dunkle Zukunft, die vor unserem Volk liegt, abwenden können.“
    Die junge Frau war bleich geworden, sie schluckte schwer und flüsterte: „Noch in der gleichen Nacht alles zurücklassen? Was geschieht, wenn Balin das nicht möchte? Wenn er keine fremden Kinder möchte?“
    „Er weiß es bereit s, auch ihm wird es heute mitgeteilt! Und auch er weiß um seine Pflichten. Keine Angst, Moran, die beiden Kleinen sehen nett aus.“, kicherte die Alte nun mit ihrer normalen Stimme. Doch Moran fühlte die Zukunft schwer wie Steine auf ihren schmalen Schultern.
    „Was sollen wir mit ihnen machen, was sollen sie erlernen, warum dürfen sie nichts von ihrer Herkunft wissen?“
    Arami zuckte die Achseln. Sie sah mitleidig auf die junge Frau, deren Hoffnungen sich soeben in Luft aufgelöst hatten. Arami schätzte Moran sehr. Diese war ehrerbietig und freundlich gegen jedermann und fleißig noch dazu. Einige tröstliche Worte würden ihr ihre Zukunft leichter machen!
    „Sei nicht traurig, Moran . Es ist nicht so schlimm, wie es sich gerade anhört! Ihr werdet ein schönes Leben haben: Balin, du und die beiden Kinder. Viel Arbeit, aber auch viel Freude werden sie euch bereiten. Alles Weitere
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