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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume
Autoren: Ralf Isau
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Refi Zul.
    Plötzlich sah er im Gegenlicht, wie etwas von der Statue abplatzte. Der Bann löste sich, die Verwandlung hatte bereits begonnen.
    Leo kniff die Augen zusammen und dachte: Flieg!
    Er spürte, wie er den Boden unter den Füßen verlor. Die Vorstellung wie ein Vogel durch die Lüfte zu rauschen behagte ihm nach wie vor nicht. Als er wieder aufzublicken wagte, tauchte unter ihm gerade das Blätterdach des Feuerwalds ab. Gleich
würde er auf einer Höhe mit dem Kraterrand sein. Über ihm hatten sich Erde, Asteroid, Mond und Sonne in einer Linie aufgereiht. Die Doppelfinsternis löste den uralten Bann.
    Leo wechselte die Flugrichtung und hielt jetzt direkt auf die Figur zu. Je näher er ihr kam, desto mehr Risse bildeten sich auf ihrem steinernen Körper. Aus ihrem Kopf brach gerade ein weiteres Stück heraus. Darunter kamen schwarze Haare zum Vorschein.
    Er umrundete die Statue, um die beste Stelle zum Zupacken zu finden. Als er ihre langen Ohren und das Gesicht sah – die Wulst über den tief liegenden Augenhöhlen, die lange Nase, den breiten Mund und das an einen Rammbock erinnernde Kinn – musste er unwillkürlich an seine erste Begegnung mit Robert Zaki denken. Der Moai sah aus wie ein grober Entwurf des Industriemoguls, der Urtyp eines Machtmenschen.
    Unvermittelt platzte ein weiteres Stück vom steinernen Antlitz ab und aus dem Loch starrte Leo ein menschliches Auge an. Ihm lief ein Schauer über den Rücken. Spätestens jetzt wusste Matatoa, dass er sich beeilen musste.
    Leo verschwand aus dessen Blickfeld und griff von hinten an. Er breitete die Arme aus, schlang sie der Figur um den Hals und ächzte: »Komm mit, Matatoa. Wir machen einen kleinen Ausflug.«
    Offenbar steckte der Moai tief im Erdreich fest, sonst wäre er längst in der Luft. Leo zerrte mit aller Macht an der Statue, doch sie rührte sich nicht. Derweil brachen immer neue Scherben aus dem steinernen Panzer.
    »Wer bist du?«, hörte er eine kräftige, ihm allzu vertraute Stimme. Im Traum verstand er jedes Wort, obwohl sie Rapanui sprach.
    »Jemand, an dem Sie wenig Freude finden werden«, antwortete
Leo gepresst, während er weiter zog. Er sah zum Boden hinab. So hatte das keinen Sinn. Er stellte sich den Vulkankessel als heißen Topf vor, die Pflanzen und Grashalme waren Spaghetti und das Erdreich blubbernde Bolognesesoße.
    Ein Krachen hallte durch den Krater. Erschrocken warf er den Kopf herum. Hinter ihm schoss eine Magmafontäne himmelwärts. Er war in seiner Vorstellungskraft zu weit gegangen. Anstatt Sand und Steine in Hackfleischsoße zu verwandeln, hatte er sie verflüssigt. Und anscheinend war dabei auch ein Loch entstanden, das tief in die Erde hinabreichte, denn die Lava kochte immer höher und der ganze Puakatike bebte. Die Hitze drohte Leo zu verzehren.
    Plötzlich war die Figur frei und er stieg mit ihr senkrecht nach oben.
    »Du Narr!«, donnerte Matatoa. »Was hast du vor?«
    »Baden gehen«, antwortete Leo knapp.
    Er wollte gerade nach Südosten schwenken, auf die drei Kilometer tiefe Stelle im Meer zu, als der Wächter die Arme freibekam und Leos Handgelenke packte. »Setze mich sofort ab!«
    »Niemals!« Leo hatte das Gefühl in einem Schraubstock zu stecken. Er flog ruckartig in die Gegenrichtung, und als der Hüne bei dem waghalsigen Manöver immer noch nicht von ihm abließ, schlug er wilde Haken in der Luft. Nichts davon konnte Matatoa beeindrucken.
    »Ich breche dir alle Knochen im Leib«, drohte er.
    »Dann stürzen wir beide ab«, gab Leo trotzig zurück. Er wollte lieber sterben, als den Schurken entkommen zu lassen, der einmal die ganze Welt an den Rand des Abgrunds führen würde. Verzweifelt sah er nach unten. Bis zum offenen Meer war es nicht mehr weit. Sie näherten sich gerade der Stelle, wo die Spürwale ihn und Orla abgesetzt hatten.

    »Ich fürchte weder Höhe noch Chaos. Dir wird Hören und Sehen vergehen, sobald ich meine Fesseln vollends abgeschüttelt habe.« Krachend brach ein weiterer Brocken ab.
    Matatoas Drohung ließ bei Leo sämtliche Alarmglocken schrillen. Er hatte sich nie gefragt, ob Refi Zul tatsächlich des Schlafs bedurfte, um die Traumenergie zu formen. Vielleicht konnte er sich auch jederzeit in eine Luzide versetzen.
    Leo schloss die Augen. In seinen Ohren rauschte der Wind und die Worte Tangatas hallten durch seinen Sinn. Nur du allein kannst diesen Weg gehen. Und ich fürchte, es ist ein Weg ohne Wiederkehr. Das Böse ist nur unter Opfern auszumerzen. Der Uralte hatte das
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