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Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Das Geheimnis der versteinerten Traeume

Titel: Das Geheimnis der versteinerten Traeume
Autoren: Ralf Isau
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gewusst. Leo blieb in der Luft stehen und blickte in die Tiefe. Am Felsenstrand sah er vier runde, im Quadrat ausgelegte Steine. Es bedurfte keiner steinernen Umfriedung, den heiligen Ort der Illúsier wiederzuerkennen. Er schwebte genau über Te Pito o te Henua, dem Nabel der Welt. Der große Eierstein in der Mitte fehlte jedoch. Leo öffnete die Hände.
    Der massige, vom Vulkangestein noch zusätzlich beschwerte Körper des Wächters sackte herab. Leos Arme streckten sich, bis sie ihm schier aus den Gelenken sprangen. Der Ruck war mörderisch, obwohl er doch schlief. Der Schmerz schien sämtliche Gedanken aus seinem Kopf zu schwemmen.
    Matatoas Zangengriff wurde nochmals fester. Mit zorniger Grimasse starrte er zu seinem Entführer hinauf und lachte: »Du hast den Falschen herausgefordert, Knabe. Gleich bekommst du meine Macht zu spüren.«
    Leo kniff die Augen zu. Verzweifelt versuchte er die Kontrolle über seinen vor Schmerzen lodernden Geist zurückzuerlangen. Es wird von deinem festen Willen abhängen, die Sache zu Ende zu bringen , hatte Osmund gesagt. Gegen die entfesselte Bosheit des uralten Matatoa hätte ein unerfahrener Traumwandler nicht
die geringste Chance, so viel war Leo klar. Er musste handeln, solange die Füße des Schurken noch im Stein feststeckten. Orla hatte daran geglaubt, dass er als Träumer sogar Refi Zul besiegen konnte. Leo sah den ersten der siebzig Wächter wieder an und zog eine Grimasse.
    »Du bist kein übermächtiger Zauberer, Matatoa, sondern nur ein geschickter Former von Traumenergie. Und das bin ich auch. Ich verfluche dich im Angesicht von Sonne und Mond, so wie du deine Mitwächter verflucht hast. Deine Erinnerungen sollen zu Staub zerfallen und deine Pläne zu Asche …«
    »Nein, hab Erbarmen mit mir!«, brüllte der Uralte und stemmte sich innerlich gegen den Bann des jüngeren Traumwandlers.
    Leo konnte die Gegenwehr des Wächters spüren und schonte weder ihn noch sich. Das Böse ist nur unter Opfern aus der Welt zu schaffen, rief er sich abermals in den Sinn. Und was hatte der gute Dalmud gesagt? Im Großen und Ganzen wird Refi Zuls Bann wohl nur in sich zusammenbrechen, wenn er überschwemmt wird von der Kraft der ungeträumten Träume. In den letzten Tagen hatte Leo die allgegenwärtige Traumenergie in sich aufgesaugt wie ein trockener Schwamm. Durch brennende Kopfschmerzen hatte er zu spüren bekommen, wie die gewaltigen Mengen nach außen drängten. Nun öffnete er sämtliche Schleusen seines Willens und ließ das Feuer auf Matatoa los. Während es dessen Geist verzehrte, vollendete er seinen Bannspruch.
    »Als Wahnsinniger wirst du rastlos über die Insel wandern, bis du erneut zu Stein erstarrst. Wenn die Menschen dich bestaunen, dann nur, weil du ein komischer Moai bist, so ganz anders als die übrigen. Sonne und Regen, Hitze und Kälte werden an dir nagen, bis nichts mehr von dir geblieben ist. Und so wird jede Erinnerung an dich vergehen.«

    Mit Schaudern gewahrte er die Veränderung in den dunklen Augen des Uralten. Sie wurden leer und glanzlos, der Ausdruck auf seinem Gesicht stumpf und maskenhaft. Matatoas Griff lockerte sich und er fiel. Er strampelte nicht, schrie nicht – wie eine Vogelscheuche stürzte er in die Tiefe. Jäh ergriff ihn auf dem Weg nach unten eine Windbö und schleuderte seinen Körper ins Meer.
    Mit einem Mal spürte Leo in seinem Innern eine große Kälte. Er hatte alles gegeben, nun war er ausgebrannt. Mit verbrauchtem Traumenergieakku fliegt es sich schlecht, dachte er. Schon merkte er, wie er aus dem Wachtraum glitt. Die Kraft würde nicht mehr reichen, noch unbeschadet zu landen. Und selbst wenn, was sollte er dann tun? Den glücklich wiedererwachten Wächtern von den Segnungen der Neuzeit berichten? Das Traumtor war im Vulkan versunken, der Rückweg nach Salem abgeschnitten. Und ich fürchte, es ist ein Weg ohne Wiederkehr…
    Während Tangatas Worte durch seinen Geist hallten, begann Leo zu fallen, erst langsam, bald rasend schnell. Der Wind pfiff ihm in den Ohren. Sein Blick streifte den Mond und die Sonne, die sich nur noch wenig überlappten. Und mit einem Mal wusste er, warum die heilige Stätte, auf die er herabstürzte, unvollständig war.
    Ich bin das Ei.
    Atnam und Batoi hatten ihn zu sich selbst zurückgeführt. Der Gedanke war kaum gedacht, da formte er aus den Resten der Traumenergie ein Ei aus Stein und schlüpfte mit letzter Kraft hinein. Dann erlosch das Licht in seinem Geist. Die Energie war verbraucht. Leo
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