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Das Geheimnis der Schwestern

Das Geheimnis der Schwestern

Titel: Das Geheimnis der Schwestern
Autoren: Kristin Hannah
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Anhängerkupplung.
    »Jetzt sag nicht, er will zum Rodeo«, murmelte Winona.
    »Natürlich«, erwiderte Vivi Ann und malte weiter an ihrem Bild. »Er ist schon ganz früh aufgestanden, um alles vorzubereiten.«
    »Er will zum Rodeo? Das soll wohl ein Witz sein!«, bemerkte Aurora, die in die Küche gekommen war und sich zu Winona ans Fenster gesellte. »Aber … wie kann er nur?«
    Winona wusste, sie sollte jetzt die Rolle ihrer Mutter übernehmen und erklären, warum es in Ordnung war, dass ihr Dad schon einen Tag nach der Beerdigung seiner Frau weitermachte wie bisher. Aber eine derartige Lüge brachte sie nicht über die Lippen, nicht mal, um ihren Schwestern Schmerz zu ersparen. Vielleicht war es ja gar keine Lüge – vielleicht verhielten sich Erwachsene so, vielleicht machten sie einfach weiter – aber die Vorstellung war noch furchterregender und noch schwerer auszusprechen. Das darauf folgende Schweigen setzte Winona zu; sie wusste nicht, was sie sagen, wie sie es erträglicher machen sollte, dabei war doch genau das ihre Aufgabe. Als Älteste sollte sie sich um ihre Geschwister kümmern.
    »Warum holt er denn Clem von der Weide?«, fragte Aurora, nahm Winona den Löffel aus der Hand und bediente sich an der Eiscreme.
    Vivi Ann gab einen Laut von sich, der halb Schluchzen, halb Schrei war, stürzte zur Tür und riss sie so heftig auf, dass sie gegen die Wand schlug.
    »Er verkauft Moms Pferd«, stieß Winona hervor. Sie war wütend, dass sie das nicht vorausgesehen hatte.
    »Das kann er doch nicht machen«, entrüstete sich Aurora und sah Winona um Bestätigung heischend an. »Oder?«
    Winona konnte ihr nicht geben, was sie suchte. Stattdessen rannte sie Vivi Ann nach. Als sie den Rangierplatz am Stall erreichte, kam sie außer Atem neben Vivi Ann zum Stehen.
    Da war ihr Vater und hielt Clem an der Longe. Die Sonne schien auf seinen speckigen Cowboyhut und wurde von der handtellergroßen silbernen Gürtelschnalle reflektiert. Sein markantes Gesicht erinnerte sie an die hiesigen Berge: Flächen aus Granit und schattige Klüfte. Hart und schroff.
    »Du darfst Moms Pferd nicht verkaufen«, sagte sie keuchend.
    »Willst du mir sagen, was ich darf und was nicht, Winona?«, gab er zurück, und sein Blick blieb kurz an dem Eisbecher haften.
    Winona spürte, wie sie rot wurde. Sie musste all ihren Mut zusammennehmen, um ihm zu widersprechen, aber es blieb ihr keine Wahl. Sonst war kein anderer mehr da. »Sie liebt … sie hat dieses Pferd geliebt.«
    »Wir haben kein Geld für ein Pferd, das nicht geritten wird.«
    »Ich werde es reiten«, erklärte Winona.
    »Du?«
    »Ich strenge mich noch mehr an. Ich werde meine Angst überwinden.«
    »Haben wir überhaupt einen Sattel in deiner Größe?«
    Peinliche Stille folgte darauf, so dass Winona vorstürzte und ihrem Vater die Longe entriss. Aber sie bewegte sich zu schnell oder zu ruckartig – Clementine jedenfalls scheute und scherte zur Seite aus. Winona spürte, wie das Seil brennend in ihre Handfläche schnitt, und verlor fast das Gleichgewicht.
    Da war Vivi Ann plötzlich neben ihr und brachte Clementine mit einem Wort und einer Berührung unter Kontrolle. »Alles in Ordnung?«, flüsterte sie Winona zu, als das Pferd wieder ruhig war.
    Winona aber schämte sich so, dass sie kein Wort herausbrachte. Sie spürte, dass ihr Vater auf sie zukam, hörte, wie seine Cowboystiefel sich in den Schlamm gruben. Langsam drehten sich Vivi Ann und sie zu ihm um.
    »Du hast kein Gespür für Pferde, Winona«, sagte er. Das hatte sie schon ihr ganzes Leben von ihm gehört. Für einen Cowboy gab es keine vernichtendere Bemerkung.
    »Ich weiß, aber –«
    Er hörte ihr gar nicht zu, sondern sah nur Vivi Ann an. Irgendetwas schien zwischen ihnen vorzugehen, als würde eine Botschaft übermittelt werden, die Winona nicht verstand. »Sie ist ein lebhaftes Tier und noch jung. Damit kann nicht jeder umgehen«, bemerkte ihr Vater.
    »Ich aber schon«, erwiderte Vivi Ann.
    Das stimmte, und Winona wusste es. Trotz ihrer zwölf Jahre war Vivi Ann furchtloser und tapferer, als Winona je sein würde.
    Plötzlich erfasste Winona Neid. Sie wusste, das war falsch – sogar gemein –, aber sie wollte, dass ihr Vater Vivi Ann missachtete, dass er seine schönste Tochter mit seiner ganzen Missbilligung strafte.
    Doch er erklärte: »Deine Mama wäre stolz auf dich«, und übergab Vivi Ann die zerschlissene blaue Longe.
    Wie aus der Ferne sah Winona sie gemeinsam weggehen. Sie redete sich
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