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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi
Autoren: Dryas Verlag
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Brief und teilte mir mit, dass er nichts mehr mit mir zu tun haben wolle und dass mein jährlicher finanzieller Zuschuss gestrichen sei. – So waren meine Frau und ich mittellos, denn von ­meinem Sold konnte ich uns nicht ernähren. Daher verkaufte ich mein Offizierspatent. Ich war davon überzeugt, dass ich schon etwas anderes finden würde. Dem war nicht so. Als meine Barschaft bis auf ein paar ­Hundert Pfund dahinge­schmolzen war, zogen wir in das Haus meines ­Schwiegervaters, der schon bald damit begann, mir das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und so gelang es dem ‚armen Papa‘, unser restliches Vermögen in kürzester Zeit durchzubringen. Ich fuhr nach London und bemühte mich um eine Stellung als Gehilfe bei einem Kaufmann, als Kontorist oder Buchhalter oder Ähnliches, doch es war erfolglos.“ Er schwieg und blickte in den Sonnenuntergang. „Sie weinte und überschüttete mich mit Vorwürfen. Mein Gott, Miss ­Morley! Ich war zornig auf sie, auf mich selbst, ihren Vater, die Welt und alle Menschen. Und so rannte ich aus dem Haus. Da hörte ich jemanden von der Goldgräberei in Australien schwärmen und schloss mich seiner Expedition dorthin an.“ Er blickte über das Wasser. „In jenen Tagen rechnete ich fest damit, dass mein Glück schnell eintreten würde und ich als reicher Mann bald nach Hause zurückkehren würde. So ging ich zu meiner Frau, die mit dem Baby in ihren Armen schlief. Ich schrieb ihr in ein paar kurze ­Zeilen, in denen ich ihr mitteilte, dass ich sie niemals mehr geliebt habe als gerade in diesem Moment, da ich sie zu verlassen schien. Ich offenbarte ihr, dass ich mein Glück in einer neuen Welt versuchen und bei Erfolg zu ihr zurückkommen wolle, um ihr Reichtum und Glück zu schenken. Dann küsste ich sie und das Kind und schlich mich leise aus dem Raum.“
    „Und hatten Sie Glück?“, fragte Miss Morley.
    „Nicht am Anfang. An einem trüben, nebligen ­Morgen vor genau drei Monaten aber geschah es: Ein riesiger Goldklumpen kam zum Vorschein. Ich war auf eine ­beachtliche Goldader gestoßen. Zwei Wochen danach galt ich als der reichste Mann in unserer kleinen Siedlung. Ich machte mich auf den Weg nach England. Ich schiffte mich auf der Argus ein, und in zehn Tagen werde ich meine Liebste ­wiedersehen.“
    „Aber haben Sie Ihrer Frau in all dieser Zeit geschrieben?“
    „Niemals, außer kurz bevor das Schiff Segel setzte. Ich wartete auf ein günstigeres Schicksal, und erst, als es sich endlich erfüllt hatte, schrieb ich ihr, sie solle mir ihre Adresse in ein Kaffeehaus in London senden, damit ich sie finden könne.“
    Nach Ende dieses langen Berichtes versank er in tiefe Gedanken. Nachdenklich zog er an einer neuen Zigarre, die er sich angezündet hatte. „Ich schwöre Ihnen, Miss Morley“, brachte er endlich hervor, „bis zu dem Augenblick, als Sie mich ansprachen, habe ich niemals auch nur einen Funken von Furcht verspürt. Nun aber empfinde ich dieses elende, beklemmende Angstgefühl in meinem ­Herzen.“
    Schweigend zog sie sich zurück, während er noch lange auf die Wellen starrte.

3. Kapitel

    D ieselbe Augustsonne, die hinter der einsamen Weite des Meeres untergegangen war, warf einen rötlichen Schimmer auf das Zifferblatt der alten, dummen Uhr, die sich über jenem efeubedeckten Torbogen befand, der in die Gärten von Audley Court führte. Es war ein feuriger, karmesinroter Sonnenuntergang. Die Scheiben der Fenster des Herrenhauses waren voll­ständig in leuchtendes Rot getaucht. Das schwindende Licht flimmerte auf den Blättern der Linden in der ­langen Allee und verwandelte den ruhigen Fischteich in eine glatte Fläche von der Farbe polierten Kupfers. Gebrochene Strahlen des roten Scheines drangen sogar in jene dämmrigen Tiefen des Dornengebüsches und des Unterholzes, in denen sich der uralte Brunnen den Blicken entzog, so dass das feuchte Unkraut, das rostige Eisenrad und das zerbrochene Holzwerk davon wie mit Blut befleckt zu sein ­schienen.
    Als dann die Uhr über dem Torbogen achtmal schlug, wurde eine Tür an der Rückseite des Hauses geöffnet, und ein Mädchen trat hinaus in den Garten. Das ­Mädchen bewegte sich eilig über das Gras und verschwand unter dem üppigen Buschwerk der Linden. Sie war nicht ­wirklich hübsch zu nennen. Ihre Gestalt war schlank und zart, etwas Farbloses in ihrem Wesen, so farblos wie ihr graues Musselinkleid. Sie hieß Phoebe und hatte früher als Kindermädchen im Dorf gedient. Nach ihrer Heirat mit Sir
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