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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi
Autoren: Dryas Verlag
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Hand.
    „Lege es hin, Luke! Lege es sofort wieder hin!“, schrie das Mädchen vor lauter Entsetzen.
    Mit einem bedauernden Seufzer legte der junge Mann das Armband an seinen Platz zurück und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Inhalt des Kastens zu.
    „Was ist das?“, fragte er auf einmal und deutete auf einen Messingknopf innerhalb des Schmuckkastens. Noch ­während er sprach, zog er daran, und eine geheime, mit rotem Samt ausgeschlagene Schublade sprang heraus. „Sieh mal hier!“, rief er, höchst erfreut über seine Ent­deckung.
    Phoebe warf das Kleid in ihren Händen achtlos zu Boden und lief zum Toilettentisch. „Oh, das habe ich noch nie gesehen“, meinte sie verwundert. Es war nicht viel in der Schublade, nur eine seidige hellblonde Haarlocke von einem Baby, eingewickelt in ein Stück Papier. Phoebes graue Augen weiteten sich, als sie das kleine Paket näher untersuchte.
    „So ’nen komischen Plunder an einem solchen Ort zu verstecken“, sagte Luke geringschätzig.
    Die dünnen Lippen des Mädchens verzogen sich zu einem seltsamen Lächeln. „Du wirst bezeugen, wo ich das gefunden habe“, sagte sie und steckte das Päckchen in seine Tasche.
    „Phoebe, du wirst doch nicht so dumm sein, gerade ­dieses Zeug zu nehmen!“, entfuhr es dem jungen Mann. „Es ist nichts wert.“
    „Das ist mir lieber als das Armband mit den Diamanten, das du so gern eingesteckt hättest“, entgegnete das ­Mädchen. „Du wirst dein Wirtshaus bekommen, Luke.“

4. Kapitel

    R obert Audley war angeblich Advokat. Als solcher erschien sein Name im amtlichen Verzeichnis der Advokaten. Als Advokat hatte er natürlich Logis im Fig Tree Court, Temple, bezogen und als ­solcher auch die erforderliche Anzahl an Dinners eingenommen, die Bestandteil der hehren Prüfung sind, der sich der rechtsgelehrte Kandidat auf dem Wege zu Ruhm und Reichtum zu unterziehen hatte. Wenn all diese Merkmale einen Mann tatsächlich zum Advokaten machten, dann war Robert Audley ganz entschieden ein Advokat. Er hatte allerdings bisher weder eine Klage vor Gericht vertreten noch sich je bemüht, einen Klienten zu bekommen. Ja, er hatte es sich in den fünf Jahren, in denen sein Name auf einer der Türen im Fig Tree Court geprangt hatte, noch nicht einmal gewünscht, eine Vertretung vor Gericht zu übernehmen.
    Er war ein gutaussehender, etwas träger, auf alle Fälle sorgloser junger Mann von siebenundzwanzig Jahren und der einzige Sohn des jüngeren Bruders von Sir Michael Audley. Sein Vater hatte ihm vierhundert Pfund im Jahr hinterlassen, und seine Freunde hatten ihm ­geraten, ­diesen Betrag durch den Eintritt in den Anwaltsstand zu vermehren. Und als er nach reiflicher Über­legung zu der ­Erkenntnis gelangt war, dass es weit mehr Mühe bereite, den Wünschen dieser Freunde zu widerstehen, als die ­vielen Dinner zu verspeisen und elegante Räume im Temple zu bewohnen, hatte er sich für ­Letzteres ­entschieden und nannte sich nun ohne irgendwelche Bedenken Advokat.
    An Tagen, wenn das Wetter sehr heiß und er durch die Anstrengung, die es bedeutete, seine Pfeife zu rauchen und Romane zu lesen, zu sehr erschöpft war, pflegte er im Temple Garden spazieren zu gehen. Er pflegte sich an einem schattigen und kühlen Plätzchen niederzulassen und erklärte dies den anderen Mitgliedern des Gerichts­hofes mit der Bemerkung, er habe sich durch ­Überarbeitung ­völlig verausgabt.
    Die Kollegen vom Gerichtshof lachten über dieses harmlose Märchen. Dennoch waren alle der Meinung, dass Robert Audley ein angenehmer Geselle sei. Gleich­zeitig allerdings auch ein etwas seltsamer Bursche mit ­seiner trägen und unentschlossenen Art. Ein Mensch, der in der Welt niemals vorwärtskommen, aber auch keiner Kreatur ein Leid antun würde.
    Der junge Mann wurde von seinem Onkel, Sir Michael, sehr geschätzt und von seiner fröhlichen Cousine, Alicia Audley, ganz und gar nicht abgelehnt. Anderen ­Männern wäre vielleicht der Gedanke in den Sinn gekommen, dass die besondere Vorliebe einer jungen Erbin eines sehr ansehnlichen Besitzes es durchaus wert sei, gehegt und gepflegt zu werden. Robert Audley aber hatte ­derlei Überlegungen niemals angestellt. Alicia sei ein sehr ­nettes ­Mädchen, sagte er. Sie sei ein lustiges Mädchen. Ein Mädchen unter tausend, doch das war auch schon das Höchstmaß an Begeisterung, zu dem er sich hinreißen ließ. Die Idee, dass er sich die Zuneigung seiner ­Cousine zunutze machen könne, war seinem müßigen
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