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Fossil

Fossil

Titel: Fossil
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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PROLOG
    IM GARTEN DER PERSEPHONE
     
     
     
    Das Mädchen namens Chance steht im Regen, ein hässlich magergroßes Mädchen, zitternd unterm Aprilnachthimmel, von dem Regen herunterpisst wie eisignasse Nadeln, und sie kann nicht aufhören zu kichern. Sie kichert jetzt seit fast einer halben Stunde, mindestens seit sie aus Deacons Wohnung weg sind, wo die drei eine kleine Tüte Gras aufgeraucht haben, Chance und Deacon und Elise, die sich bekiffen, während sie Billie Holiday hören und dabei darüber streiten, ob sie alle drei im Gefängnis landen, wenn sie in den alten Wasserwerkstunnel im Berg einbrechen. «Verdammt, Deke», sagt Elise, «kannst du dich bitte beeilen? Ich frier mir hier draußen den Arsch ab.» Zitternde, gestammelte Worte, weil ihre Zähne so laut aufeinanderklappern, und Chance versucht angestrengt, mit dem Gekicher aufzuhören. Sie will die arme, total durchnässte Elise nicht auslachen, die ersoffene Rättin Elise. Sie stellt sich vor, wie die Cops auf dem kleinen Parkplatz am Ende des Parks halten, mit pulsierendem Blaulicht und plärrenden Sirenen, Pistolen und glänzenden silbernen Handschellen.
    «Darüber würde ich mir keine Sorgen machen an deiner Stelle», sagt Deacon, dann lässt er den Bolzenschneider fallen und muss sich bücken, um ihn zu suchen. «Wie es aussieht, ertrinken wir sowieso vorher.»
    Das war es dann mit den schlimmen Cops, und Chance kichert wieder, lacht, bis ihr der Bauch wehtut und Elise sie böse anstarrt. Sie setzt sich ins nasse Gras und auf den klebrigen roten Lehmboden, bevor sie noch hinfällt. Elise murmelt durch die klappernden Zähne: «Wenigstens amüsiert sich unser Hyänenmädchen hier.»
    Deacon hat den Bolzenschneider wieder, fummelt noch einen Moment im Dunkeln herum, bevor es ihm gelingt, den Haken des rostigen Vorhängeschlosses zwischen dessen rasierklingenscharfe Kiefer zu bekommen, und dann schneidet er durch gehärteten Stahl, als wäre er aus Butter. Das Schloss fällt vom Tor und landet mit einem lauten Platschen in einer Pfütze neben seinen Füßen. «O ihr Kleingläubigen», sagt er, während er die schwere, durch die Gitterstäbe geschlungene Kette herauszieht, mit der das schmiedeeiserne Tor verschlossen war. Elise klatscht einen langsamen, sarkastischen Applaus, als das Tor mit einem hässlichen, quietschenden Laut aufschwingt. Das Knarzen und Kreischen von Rost auf Rost, als würde ein Schiffsrumpf gewaltsam aufgerissen, ein Klang von Stahl und Eis. Chance liegt auf dem Rücken und starrt nach oben zu den Regentropfen, die auf sie herunterstürzen, aus dem Himmel gejagt, und die nun zur durchweichten Erde herniederfallen.
    «‹Hinunter, hinunter, hinunter›», sagt sie und zitiert dem Regen freundschaftlich Lewis Carroll. «‹Wird der Fall denn nie enden? Ich frage mich, wie viele Meilen ich jetzt wohl gefallen bin… ›»
    «Willst du sie etwa einfach hier draußen lassen?», fragt Elise, aber da zieht Deacon Chance schon auf die Füße. Sie zittert und lehnt sich gegen ihn, stiehlt ihm seine Wärme, küsst sein stoppeliges Kinn, die gebogene Nase. «Komm schon, kleines Mädchen», sagt er, «beweg dich.» Er hat einen Arm um sie gelegt, während sie den niedrigen quadratischen Gang betreten, der zum Tunnel führt. «Jetzt heißt es, mutig in die stygischen Gedärme dieser Welt vorzudringen.»
    Chance lacht, aber es war etwas Seltsames und Trauriges an diesem Regen, woran sie sich nicht richtig erinnern kann, und sie fängt nicht wieder an zu kichern.
    Diese Steinwand hat man vor über hundert Jahren grob in den Berg gehauen, eine Blockhütte, Stein und Mörtel und modrige Luft, die wie eine Kappe auf der Spitze des nördlichen Tunnelendes sitzen. Pilze und Dreck und Schimmelgeruch.
    «Alle Mann an Deck», sagt Elise und zieht das Tor hinter ihnen zu. Ein dumpfer Aufprall von Eisen auf Stein. Sie schließt uns ein, denkt Chance, und vielleicht hat sie jetzt ein bisschen Angst, das Gras macht sie paranoid, doch dann hat Deacon seine Taschenlampe draußen und lässt das Licht auf den feuchten Wänden spielen, den fauligen, wurmstichigen Balken über ihnen.
    «Was ist das?», fragt Elise, und Deacon leuchtet die beiden großen Rohre an, die fast den gesamten Tunnel ausfüllen, Rohre wie die Stahldärme des Bergs, die aussehen wie etwas auf einem HR-Giger-Gemälde, weder Tier noch Stein, ein Organ, irgendwo zwischen beidem gefangen.
    Deacon legt die Hand auf eins der Rohre. «Verdammt», sagt er, «kalt.» Chance zittert wieder,
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