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Fossil

Fossil

Titel: Fossil
Autoren: Caitlín R. Kiernan
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Himmel.
    «Ja», sagte er. «Okay, wie du meinst.» So ruhig, so verdammt resigniert. Am liebsten hätte sie ihn geschlagen. Der ganze Säufermist und das ewige Bescheißen mit anderen Frauen, und trotzdem wollte sie ihn jetzt zum ersten Mal schlagen.
    «Mehr hast du nicht zu sagen, Herrgott? Drei verdammte Jahre, und mehr fällt dir nicht dazu ein?»
    Er lächelte leicht, ein stoppeliges Landstreicherlächeln, und rieb die Hand hart am Kinn.
    «Was willst du denn hören, Chance? Du weißt, dass ich nicht versuchen werde, dich umzustimmen, außerdem habe ich im Augenblick keine Lust, mich mit dir zu streiten.»
    Also ließ sie ihn stehen, drehte sich um und stolzierte eilig, entschlossen davon. Die meisten Dinge, die sie hatte sagen wollen, waren unausgesprochen geblieben: dass sie die Sache mit Elise nicht fassen konnte und wie er sich nicht einmal sonderliche Mühe gegeben hatte, deshalb zu lügen, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die ganze ätzendheiße Wut saß so noch immer hinter ihren Augen fest. Sie ging durch den nach Gewitter riechenden Regen zu Fuß nach Hause, begleitet vom Geheul der Sirenen.
    Stunden später. Es war schon fast dunkel, und das Gewitter hatte sich selbst in den Osten geweht, die Stadt grau und nass zurückgelassen. Chance versuchte, sich auf die Unterlagen für ihre Abschlussarbeit zu konzentrieren, ein Umschlag voller Schwarzweißfotografien von den flachen, eingedrückten Köpfen primitiver Amphibien und Fischen mit Fingern, sie versuchte, sich auf alles zu konzentrieren außer Deacon Silvey und ihr verpfuschtes Leben. Dann klingelte das Telefon, Elise am anderen Ende. Die Verbindung war schlecht wegen des Wetters und des etwas heiseren, zögerlichen Tons in Elise’ Stimme, der verriet, dass sie geweint hatte und bestimmt beim geringsten Anlass gleich wieder anfangen würde.
    «Es ist meine Schuld, nicht wahr?», fragte sie.
    «Nein», sagte Chance und bemühte sich sehr, es echt klingen zu lassen.
    «Ist es doch, das weiß ich sowieso. Wieso tust du so, als wär’s anders? Wenn ich nicht…»
    «Deke ist ein beschissener Säufer, und ich bin es einfach leid. Einen anderen Grund brauchte ich nicht.»
    «Den Grund gab es immer, Chance. Er war schon ein Säufer, als du ihn kennengelernt hast.»
    «Ich bin eben nicht gerade ein Schnellmerker und außerdem masochistisch veranlagt. Komm, erklär mir nochmal, wie saublöd ich die ganze Zeit war, vielen Dank.»
    Elise seufzte. «Deshalb hättest du ihn nie verlassen, wenn ich nicht mit ihm geschlafen hätte.»
    «Wie du meinst, bitte. Hör mal, Elise, ich habe jetzt keine Zeit mehr, ich muss arbeiten.»
    Eine lange Pause, und Chance starrte auf ihre Notizen und die Fotografien, lauschte ungeduldig dem Knacken in der Leitung und dem Schweigen, während Elise allen Mut zusammennahm, um das Begonnene zu Ende zu bringen.
    «Chance, was ist mit uns passiert im Tunnel? Ich versuche immer wieder, mich zu erinnern, möchte glauben, dass wirklich das passiert ist, was ich noch davon weiß… aber irgendwie ist alles so verschwommen… alles so…» Sie sprach nicht weiter, entweder gingen ihr die Worte aus oder der Mut. Chance hielt den Blick weiter fest auf die Fotos gerichtet, die unbestreitbare Realität ihrer Fossilien, den Trost des Fassbaren, und als sie schließlich antwortete, tat sie es mit Floskeln, die ebenso verlässlich waren, genauso schwarz und weiß.
    «Du kannst dich nicht erinnern, weil du stoned warst. Verdammt, Elise, ich weiß nicht. Irgendwas da drin hat uns total verwirrt. Wir sind durchgedreht, kriegten Angst, unser Zeitgefühl war weg. Und dann natürlich die Dunkelheit, aber vor allem waren wir stoned.»
    «Das erzählt Deacon mir auch immer wieder», sagte Elise fast flüsternd. «Er will auch nicht darüber reden.»
    «Ich habe nicht gesagt, dass ich nicht darüber reden will.»
    «Trotzdem willst du es nicht, stimmt doch? Es macht dir Angst, nur daran zu denken.»
    «Warum zum Teufel fragst du mich das alles überhaupt, wenn du die Antworten sowieso schon kennst?»
    «Ich weiß, dass ich Schuld habe. Ich weiß es.»
    Chance schaute hinüber zur Uhr neben ihrem Bett am anderen Ende des Zimmers. Der Zorn loderte jetzt zu dicht unter der Oberfläche, und wenn sie nicht gleich auflegte, würde sie Elise all die Dinge aufzählen, an denen sie ihr tatsächlich die Schuld gab.
    «Tut mir leid», sagte sie, «ich habe morgen ganz früh eine wichtige Besprechung an der Uni. Aber ich rufe dich danach an,
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