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Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi

Titel: Das Geheimnis der Lady Audley - ein viktorianischer Krimi
Autoren: Dryas Verlag
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ihn seltsam. Er schwieg einen Augenblick und brachte dann mit einiger Mühe hervor: „Ich gebe zu, ich bin ein ­romantischer alter Narr, aber wenn Sie keine Abneigung gegen mich hegen, sehe ich keinen Grund, warum wir nicht ein sehr glückliches Paar werden könnten. Einverstanden, Lucy?“
    „Ja.“
    Der Baron half ihr vom Boden auf, küsste sie auf die Stirn, und nachdem er ihr eine Gute Nacht gewünscht hatte, verließ er das Haus.
    Er war verwirrt, empfand weder Freude noch ein Gefühl des Triumphes, sondern spürte in sich so etwas wie eine tiefe Enttäuschung. Es war der Tod jener Hoffnung, die beim Klang von Lucys Worten gestorben war. Alle ­Zweifel und Befürchtungen, alle zaghaften Sehnsüchte hatten nun ihr Ende gefunden. Wie andere Männer seines Alters auch, so musste er sich damit abfinden, aufgrund seines Ver­mögens und seiner Stellung geheiratet zu werden.
    Lucy Graham aber schritt langsam die Treppe hinauf zu ihrer Kammer unter dem Dach. Sie stellte die Kerze auf die Kommode und setzte sich auf den Rand des Bettes.
    „Jede Spur meines alten Lebens verwischt und ­begraben“, flüsterte sie. Ihre linke Hand hatte das schwarze Band an ihrem Hals keinen Moment ­losgelassen. Und während sie so vor sich hin murmelte, zog sie es aus ihrem Ausschnitt und blickte auf den Ring, der daran befestigt war.

2. Kapitel

    E r warf den Rest seiner Zigarre ins Wasser, stützte die Ellenbogen auf die Reling und starrte auf die Wellen. „Wie eintönig sie doch sind“, sagte er, „blau, grün und opal – opal und grün und blau. Drei Monate lang nur Wellen.“
    Seine Gedanken wanderten weiter, tausend Meilen seinem Ziel entgegen. „Sie wird sich freuen“, murmelte er, während er sein Zigarrenetui öffnete. „Erstaunt wird sie sein und sehr überrascht. – Nach dreieinhalb Jahren!“ Er lächelte, als er sich ihr zartes Gesicht vorstellte, ihre Freude, wenn sie ihn wiedersah.
    George Talboys war ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren mit von der Sonne gebräuntem Gesicht. Er befand sich als Passagier an Bord der Argus, die von Sydney nach Liverpool segelte. Mit ihm reiste in der ­Ersten Klasse ein älterer Wollhändler, der in den ­Kolonien ein Vermögen gemacht hatte und nun mit Frau und Töchtern in seine Heimat zurückkehrte. Außerdem war eine ­Gouvernante an Bord, die nach Hause fuhr, um den Mann zu ­heiraten, mit dem sie bereits fünfzehn Jahre verlobt war. Die Tochter eines reichen australischen Weinhändlers, deren Erziehung in England den letzten Schliff erhalten sollte, fuhr ebenfalls mit.
    Niemand wusste, wer oder was George Talboys war, doch alle mochten ihn. Beim Dinner saß er am Ende der Tafel und half dem Kapitän, die Honneurs zu machen. Er erzählte lustige Geschichten und war der Erste, der ­darüber mit so viel Vergnügen auflachte, dass man aus ­reiner Sympathie mitlachen musste. Beim Rätselraten und Kartenspiel stellte er sich ebenso geschickt an wie bei all den anderen unterhaltsamen Gesellschaftsspielen, die den kleinen Kreis unter der Kabinenlampe zusammenkommen ließen. Er rauchte seine Zigarren, unterhielt sich mit den Matrosen, lehnte an der Reling und war dabei zu jedermann auf seine Weise freundlich.
    Doch als sich die Argus dem Ziel der Reise allmählich näherte und nur noch etwa zwei Wochen vor ihr lagen, bemerkten alle an Bord eine Veränderung an ihm. Er wurde unruhig und nervös. Immer öfter stand er schwermütig und nachdenklich an der Reling. Den Matrosen wurde er bald lästig mit seiner ständigen Frage nach der voraussichtlichen Ankunftszeit. Würde es noch zehn, elf, zwölf oder dreizehn Tage dauern? War der Wind auch günstig? Wie viele Knoten in der Stunde machte das Schiff? Mitunter sahen ihn seine Reisegefährten über das Deck stapfen und schimpfen. Die Argus sei ein baufälliger, alter Kahn, völlig ungeeignet für den Passagierverkehr, ja sie tauge nicht für den Transport ungeduldiger Lebewesen mit Herz und Seele.
    Die Mitreisenden vom Achterdeck lachten über seine Ungeduld, nur die blasse Gouvernante nicht. Sie beobachtete den jungen Mann, wie er sich über die langsam dahinschleichenden Stunden aufregte und immer wieder auf das wogende Meer stierte.
    Als der rote Rand der Sonne eines Abends gerade im Wasser versank, stieg die Gouvernante die Kabinentreppe hinauf, um einen Spaziergang zu machen, während die anderen Reisenden unter Deck bei ihrem Wein saßen. Sie gesellte sich zu George Talboys, und gemeinsam beobachteten sie die
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