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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis
Autoren: Katherine Webb
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hofft, er möge es nicht gesehen haben, aber eigentlich müsste das Verbrechen doch vor ihrer Flucht aus Amerika geschehen sein? Und dass sie ihn ausgesetzt hat, erscheint mir unerklärlich, wirklich unglaublich, wenn man die Liebe bedenkt, die sie dem Vater des Kindes in diesem Brief bezeugt. Ich erinnere mich an das dunkelhäutige Mädchen bei dem Sommerfest – die junge Frau, die Caroline Magpie nannte. Ihr Haar war so schwarz wie Dinnys. Ich werde es nie mit Sicherheit wissen, doch die fehlende Erwähnung eines Kindes in dem Brief weist tatsächlich auf ein Verbrechen hin und lässt mich an meiner Behauptung zweifeln, ich sei mit Dinny verwandt.
    Beth war vor ein paar Wochen zu Besuch hier. Ich glaube, sie wünscht sich, ich hätte mich in einem anderen Dorf niedergelassen, dennoch scheint sie sich allmählich an den Gedanken zu gewöhnen. Sie scheut nicht mehr vor diesem Ort zurück.
    »Macht es dir nicht zu schaffen, das Haus immer da drüben zu sehen?«, fragte sie mich. Inzwischen spiegeln sich wieder Gefühle auf ihrem Gesicht. Sie steigen auf und ringen miteinander um den obersten Platz wie Luftballons. Irgendetwas hatte zuvor ihre Züge gefesselt, und jetzt ist es verschwunden. Und es könnte durchaus sein, dass ich mich noch anderswo niederlasse – bald, oder irgendwann. Ich warte nicht, aber ich muss da sein, wo er mich finden kann. Nur, bis er das nächste Mal kommt. Und er hat immerhin gute Gründe, hierher zurückzukehren. Es zieht ihn mehr hierher als nur meine Person und mein Verlangen nach ihm. Eine Mutter, eine Schwester, eine Nichte. Ich glaube, Honey würde es mir sagen, wenn er käme.
    Meine Freude darüber, mitzuerleben, wie es Beth immer besser geht, sprudelt jedes Mal in mir hoch, wenn ich sie sehe. Natürlich war das keine Wunderheilung, aber es geht ihr besser. Sie kann jetzt einen Teil der Schuld an dem, was passiert ist, mit Dinny teilen. Sie muss nicht länger glauben, dass nur sie ganz allein Henry Calcott auf dem Gewissen hat. Die Wahrheit dieser Geschichte, das Richtig und Falsch daran, ist jetzt diffuser. Sie hat kein Leben beendet, sie hat nur eines verändert. Da ist sogar ein klein wenig Spielraum, eine gewisse Grauzone, in der man darüber nachdenken könnte, ob es eine Veränderung zum Besseren oder zum Schlechteren war. Also keine wundersame Genesung, aber sie ist jetzt bereit, mit mir darüber zu reden, und weil sie sich umgedreht und sich dem Ungeheuer gestellt hat, verfolgt es sie nicht mehr auf Schritt und Tritt. Ich kann die Verbesserung deutlich erkennen, und Eddie auch, obwohl er mich nicht danach gefragt hat. Ich glaube, es ist ihm egal, was genau sich verändert hat, er freut sich einfach nur darüber.
    Man braucht eine Weile, um jemanden in einem neuen Licht zu betrachten, wenn man ihn viele Jahre lang auf eine bestimmte Art oder überhaupt nicht gesehen hat. Ich habe immer noch Harry gesehen, als Dinny mir gesagt hat, ich solle Henry sehen. Und ich habe Dinny noch so gesehen, wie ich ihn immer gesehen, immer geliebt habe. Und ich sage mir, dass er Zeit braucht, mich in einem anderen Licht zu sehen, so, wie ich jetzt bin, und nicht als Kind, als lästiges Anhängsel, als Beths kleine Schwester oder was auch immer er in mir sehen mag. Aber dahin wird er kommen, glaube ich. Es gab eine juristische Auseinandersetzung um das Stück Land, auf dem die Dinsdales lagern dürfen. Der Bauunternehmer wollte keinen Haufen Fahrende in der Parkanlage seiner neuen Wohnungen hausen sehen. Letzten Endes wurde dieses Teilgrundstück zusammen mit den restlichen Wald- und Weideflächen an den Bauern verkauft, der das angrenzende Land besitzt, und der kennt die Dinsdales seit vielen Jahren. Also ist der Platz immer noch da und wartet auf sie. Auf ihn. Ein wunderschönes Fleckchen für ein Lager im Sommer, grün und geschützt und jetzt wieder ungestört.
    Ich hoffe auf einen heißen Sommer. Wetter, bei dem man bis auf die Knochen durchgebacken wird und das den faulen Lebensstil entschuldigen würde, den ich mir angewöhnt habe. Wetter, bei dem Honey Sommersprossen bekommt, bei dem ich mit Susans und Pauls Töchtern aus frischem Zitronensaft Eis am Stiel machen kann und bei dem Dinnys Haut ganz braun wird. Das richtige Wetter, um sich zum Teich hinaufzuschleichen, zu planschen, zu schwimmen und ihm die bösen Geister auszutreiben.
    Heute kam ein kleines Paket für mich. Darin lag ein krümeliges Stück Baumrinde, in das Muster eingeritzt waren. Ich kann in den Strichen nichts erkennen,
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