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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis
Autoren: Katherine Webb
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und finster, das Wasser an einem wolkenverhangenen Tag wie heute aufgewühlt vom plätschernden Regen – bereit, jedes Geheimnis zu verbergen, das man ihm anvertraute. Bei dem Gedanken wurde ihr kalt. Nein, das kann ich nicht, flehte sie stumm. Ich kann nicht. Sie hatte diesem Kind schon so viel genommen.
    Sie ging weiter, nicht in Richtung des Teichs, sondern weg vom Haus, und betete darum, dass sich ihr irgendeine andere Möglichkeit bieten möge. Als das tatsächlich geschah, seufzte Caroline vor Erleichterung. Auf einer grünen Lichtung, wo der Wald auf den Feldweg stieß, stand ein Wagen. Ein schwarz-weißes Pony war daneben angebunden, den Kopf tief gesenkt, das Hinterteil Sturm und Regen zugekehrt, und dünne Rauchfähnchen stiegen aus einem metallenen Ofenrohr im Dach auf. Zigeuner , dachte sie, und verzweifelte Hoffnung flackerte in ihrer Brust. Sie würden ihn finden, ihn mitnehmen, mit ihm fortziehen. Sie würde ihn nie wieder sehen, ihm nie wieder gegenüberstehen müssen. Aber er würde gut versorgt sein. Er würde ein Leben haben.
    Jetzt begann das Baby zu weinen, denn der Regen hatte den Kissenbezug durchweicht und seine Haut berührt. Hastig hob Caroline den Sack wieder auf die Schulter und lief durch die Bäume um die Lichtung herum zur anderen Seite, weg vom Haus, damit die Spur nicht in diese Richtung wies. Sie hoffte, so würde es aussehen, als hätte jemand, der von Süden her gekommen war, das Kind ausgesetzt. Sie legte ihn zwischen die knotigen Wurzeln einer mächtigen Buche, wo es einigermaßen trocken war, und wich zurück, während seine Schreie lauter und beharrlicher wurden. Nehmt ihn und verschwindet, flehte sie stumm.
    Immer wieder stolpernd lief sie so rasch und so leise wie möglich hinein in den Wald, und das Weinen des Babys folgte ihr noch eine Weile. Als sie endlich außer Hörweite war, blieb sie stehen. Sie schwankte unentschlossen und überlegte, ob sie weiterlaufen oder umkehren sollte. Ich werde ihn nie wieder hören, sagte sie sich, aber dieser Gedanke brachte ihr keine Erleichterung. Es konnte nicht anders sein, aber eine Kälte breitete sich in ihrem Herzen aus, so fest und scharfkantig wie Eis, denn sie erkannte jetzt, dass sie vor dem, was sie getan hatte, niemals würde davonlaufen, es nie würde vergessen können. Es steckte in ihr wie ein böses Geschwür, und obwohl es kein Zurück gab, war sie nicht mehr sicher, ob sie weiter vorwärtsgehen konnte. Ihre Hand glitt zu ihrem Bauch, in dem ein Kind heranwuchs. Sie ließ es die Wärme ihrer Handfläche spüren, als wollte sie ihm versichern, dass sie noch lebte und fühlte und es lieben würde. Dann ging sie langsam zum Haus zurück, wo ihr Stunden zu spät klar werden würde, dass sie das Baby zwar sorgfältig ausgezogen, es dann aber in dem feinen, bestickten Bezug ausgesetzt hatte. Sie drückte das Gesicht in ihr nacktes Kopfkissen und versuchte, den kleinen Jungen aus ihrer Erinnerung zu verbannen.

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    Wie still es ist! So still, dass es mir fast
    Das Denken drückt und stört mit sonderbarer
    Und übergroßer Stille.
    Samuel Taylor Coleridge, Frost um Mitternacht
    W enigstens haben wir Winter. Wir waren immer nur im Sommer hier, deshalb wirkt das Haus ein wenig anders. Es ist nicht so grässlich vertraut, nicht so übermächtig. Storton Manor, grimmig und klotzig, hat dieselbe Farbe wie der tief hängende Himmel. Ein viktorianischer, neugotischer Berg von einem Herrenhaus, Fenster mit Mittelsäulen und abblätterndem Holz, grün vor Algen. Trockenes Laub liegt an die Wände hingeweht, und Moos wächst dahinter herauf bis zu den Fenstersimsen im Erdgeschoss. Ich steige aus dem Auto und atme ruhig durch. Bisher war der Winter sehr englisch. Feucht und matschig. Die Hecken in der Ferne sehen aus wie verschmierte violette Flecken. Ich habe mich heute extra in leuchtenden Farben angezogen, aus Trotz diesem Ort gegenüber, seiner kargen Strenge und des schweren Gewichts wegen, das meine Erinnerungen bedrückt. Jetzt komme ich mir darin albern vor, wie ein Clown.
    Durch die Windschutzscheibe meines alten weißen Golf kann ich Beths Hände in ihrem Schoß liegen sehen, und die feinen Spitzen an dem langen Zopf. Hier und da ist er jetzt von grauen Strähnen durchzogen, und das erscheint mir zu früh, viel zu früh. Sie war ganz versessen darauf, hierherzukommen, aber jetzt sitzt sie da wie erstarrt. Diese blassen, schmalen Hände, schlaff im Schoß gefaltet – passiv, abwartend. Unser Haar war so leuchtend hell, als wir
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