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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis
Autoren: Katherine Webb
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Strahlen in ihr Lächeln zu rütteln.
    »Wir machen das Haus gemütlich«, versichere ich ihr. »Mit Weihnachtsschmuck und allem Drum und Dran. Ich finde bestimmt irgendwo ein Radio. Es wird nicht wie …« Meine Stimme erstirbt. Der winzige Fernseher in der Ecke gibt ein ärgerliches Rauschen von sich, das uns beide zusammenfahren lässt.
    Es ist schon fast Mitternacht, und Beth und ich haben uns in unsere Zimmer zurückgezogen. Dieselben Zimmer wie im mer, in denen wir dieselben Tagesdecken vorgefunden haben, glatt und ausgeblichen. Das kam mir zuerst ganz unwirklich vor. Aber warum sollte man Decken in einem Zimmer wechseln, das nie jemand benutzt? Ich bin ziemlich sicher, dass Beth auch noch nicht schläft. Die Stille im Haus tönt wie eine Glocke. Die Matratze sinkt da, wo ich sitze, tief unter mir ein, die Federn federn nicht mehr. Das Bett hat ein Kopfteil aus dunkler Eiche, und an der Wand hängt ein Aquarell, das inzwischen stark verblasst ist. Es zeigt Schiffe in einem Hafen, obwohl ich nie davon gehört habe, dass Meredith je an der Küste war. Ich schiebe die Hand hinter das Kopfteil, und meine Finger tasten sich an den senkrechten Streben hinab, bis ich es finde. Es ist brüchig, hart und staubig. Das Stückchen rotes Kunststoffband, das ich von einer Schleife auf einem Geburtstagsgeschenk abgeschnitten habe. Ich habe es hier festgebunden, als ich acht Jahre alt war, um ein Geheimnis zu haben, von dem nur ich allein etwas wusste. Dann konnte ich immer daran denken, wenn wir wieder zur Schule gingen. Ich konnte es mir vorstellen, verborgen, unberührt, während das Zimmer geputzt wurde und Leute kamen und gingen. Da war etwas, von dem ich weiterhin wissen würde, ein Relikt von mir, das ich immer wiederfinden konnte.
    Es klopft leise, und Beths Gesicht lugt um die Türkante. Ihr Zopf ist gelöst, das Haar fällt ihr offen ums Gesicht und lässt sie jünger wirken. Manchmal ist sie so schön, dass ich einen Schmerz in der Brust spüre, der mir die Rippen zusammendrückt. Der schwache Schein der Nachttischlampe legt Schatten auf ihre Wangenknochen, unter ihre Augen, und betont den Schwung ihrer Oberlippe.
    »Wie geht es dir? Ich kann nicht schlafen«, flüstert sie, als sei noch jemand im Haus, den sie wecken könnte.
    »Mir geht es gut, Beth, ich bin nur noch nicht müde.«
    »Oh.« Sie bleibt zögernd in der Tür stehen. »Es ist so seltsam, hier zu sein.« Das ist keine Frage. Ich warte. »Ich fühle mich … ich komme mir ein bisschen vor wie Alice im Wunderland. Alles ist so vertraut, und doch irgendwie falsch. Als wäre es spiegelverkehrt. Was glaubst du, warum sie uns das Haus vererbt hat?«
    »Ich weiß nicht. Um Mum und Onkel Clifford eins auszuwischen, nehme ich an. Das wäre genau Merediths Art.« Ich seufze. Immer noch drückt Beth sich im Türrahmen herum, so hübsch, so mädchenhaft. Im Augenblick scheint es, als sei überhaupt keine Zeit vergangen, als hätte sich nichts verändert. Sie könnte wieder zwölf sein, dann wäre ich acht, und sie könnte ihren Kopf ins Zimmer stecken, um mich zu wecken und dafür zu sorgen, dass ich nicht zu spät zum Frühstück komme.
    »Ich glaube, sie hat das getan, um uns zu bestrafen«, sagt sie leise und schwermütig.
    »Nein, Beth. Wir haben nichts Böses getan«, erkläre ich bestimmt.
    »Nicht? In jenem Sommer? Nein. Nein, wahrscheinlich nicht.« Sie streift mich mit einem hastigen, etwas verwunderten Blick, und ich bekomme den Eindruck, als versuchte sie irgendetwas zu sehen, irgendeine Wahrheit über mich zu entdecken. »Gute Nacht, Rick«, flüstert sie, und mit der vertrauten Kurzform meines Namens aus Wildfang-Kinderzeiten verschwindet sie aus der Türöffnung.
    Ich erinnere mich an so vieles aus jenem Sommer. Der letzte Sommer, in dem alles gut war, der Sommer 1986. Ich erinnere mich daran, wie untröstlich Beth war, weil Wham! sich trennten. Ich erinnere mich daran, dass die Hitze wässrige Bläschen auf meiner Brust hinterließ, die juckten und unter meinen Fingernägeln platzten, wovon mir schlecht wurde. Ich erinnere mich an das tote Kaninchen im Wald, nach dem ich fast täglich sah, angewidert und zugleich fasziniert davon, wie es langsam zusammensank und weich wurde. Es schien zu atmen, bis ich es mit einem Stock anstupste, um zu prüfen, ob es auch wirklich tot war, und erkannte, dass die Bewegung vom gierigen Wimmeln der Maden in seinem Inneren herrührte. Ich erinnere mich daran, dass ich auf Merediths winzigem Fernseher zusah, wie Sarah
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