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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis
Autoren: Katherine Webb
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umwickelt. Hat sie das so still hier drin getan? An irgendeinem halb eingebildeten, halb geborgten Schrein gebetet? Sie sieht, dass ich ihre Opfergaben betrachte, steht auf, zieht ein finsteres Gesicht und drängt sich wortlos an mir vorbei. Mir wird klar, dass ihre scheinbar unförmige Gestalt tatsächlich aus zwei Gestalten besteht – sie ist schwanger. Sehr hübsch, sehr jung und mit einem sehr dicken Bauch. Als ich aus dem Grab trete, schaue ich den Hügel hinab in Richtung Dorf, aber da ist sie nicht. Sie läuft in die andere Richtung – in die Richtung, aus der ich gekommen bin, zum Wald in der Nähe des Herrenhauses. Sie marschiert entschlossen und mit schwingenden Armen.
    Beth und ich essen an jenem ersten Abend im Arbeitszimmer. Das mag eine seltsame Wahl sein, aber es ist der einzige Raum, in dem ein Fernseher steht. Während wir mit Tabletts auf den Knien Pasta essen, leisten uns die Abendnachrichten Gesellschaft, denn an beiläufigen Gesprächsthemen fällt uns offenbar nichts mehr ein, und die großen Themen sind einfach noch zu groß. Wir sind noch nicht so weit. Ich weiß auch nicht, ob wir je dahin kommen werden, aber es gibt ein paar Fragen, die ich meiner Schwester stellen möchte. Ich werde abwarten und dann sichergehen, dass ich richtig frage. Wenn ich die richtigen Fragen stelle, so hoffe ich, werde ich ihr damit helfen. Die Wahrheit wird ihr helfen, sie befreien. Beth scheucht jedes Nudelröhrchen erst einmal auf dem Teller herum, ehe sie es mit der Gabel einfängt. Sie führt die Gabel mehrmals an die Lippen, ehe sie sie in den Mund steckt. Ein paar Penne schaffen es nicht bis dahin – sie lässt sie wieder von der Gabel fallen und wählt eine Alternative. All das sehe ich aus den Augenwinkeln, ebenso wie ihren verhungernden Körper. Die Fernsehbilder spiegeln sich dunkel in ihren Augen.
    »Glaubst du wirklich, dass das eine gute Idee ist? Hier mit Eddie Weihnachten zu feiern?«, fragt sie mich unvermittelt.
    »Natürlich. Warum nicht? Wir müssen sowieso eine Weile hierbleiben und alles in Ordnung bringen, also könnten wir auch gleich über Weihnachten bleiben. Zusammen.« Ich zucke mit den Schultern. »Wir haben ja reichlich Platz.«
    »Nein, ich meine … ein Kind hierherzubringen. In dieses … Haus.«
    »Beth, es ist nur ein Haus. Es wird ihm gefallen. Er weiß nichts … Na ja. Er wird seinen Spaß daran haben, da bin ich sicher – hier gibt es so viele Ecken und Winkel zu erforschen.«
    »Aber es ist ein bisschen groß und leer, nicht? Vielleicht ein wenig einsam? Es könnte ihn deprimieren.«
    »Du könntest ihm doch sagen, dass er einen Freund mitbringen soll. Wie wäre das? Ruf ihn morgen an – nicht für die ganzen Weihnachtsferien natürlich. Aber irgendwelche berufstätigen Eltern wären sicher froh, wenn sie noch ein paar Tage Pause machen könnten, ehe ihre kleinen Tyrannen wieder auftauchen, meinst du nicht?«
    »Hm.« Beth verdreht die Augen. »Ich glaube nicht, dass irgendeine der anderen Mütter, deren Kind auf diese Schule geht, etwas so Gewöhnliches tut, wie ihren Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen.«
    »Das tut nur Pöbel wie du?«
    »Nur Pöbel wie ich«, stimmt sie trocken zu.
    »Welch Ironie, wo du doch eigentlich die echte Sorte bist. Praktisch blaublütig.«
    »Wohl kaum. Genauso wenig wie du.«
    »Tja, ich glaube, bei mir hat der Adel eine Generation übersprungen.« Ich grinse. Meredith hat mir das einmal erzählt, als ich zehn war. Deine Schwester hat die Calcott-Züge, Erica. Du kommst ganz nach deinem Vater, fürchte ich. Das hat mir damals nichts ausgemacht und tut es auch heute nicht. Ich war zu der Zeit nur nicht sicher, was genau Züge bedeuten sollte. Ich dachte, sie meinte mein Haar, das nach einem Zwischenfall mit einem Kaugummi ganz kurz geschnitten war. Als sie sich abwandte, streckte ich ihr die Zunge heraus, und Mum tadelte mich mit erhobenem Zeigefinger.
    Beth lehnt ihn auch ab, den Adel. Sie hat mit Maxwell – Eddies Vater – darum gekämpft, dass er in die Grundschule im Ort gehen durfte, die winzig und freundlich war und in einer Ecke des Schulhofs einen Naturkunde-Garten hatte: Froschlaich, verdorrte Überreste von Libellen-Nymphen, Primeln im Frühling, und später Stiefmütterchen. Aber Maxwell hat sich durchgesetzt, als es um die weiterführende Schu le ging. Vielleicht war es besser so. Eddie besucht ein Internat und wohnt während der gesamten Schulzeit dort. Beth hat vor den Ferien viele Wochen Zeit, sich aufzubauen und ein
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