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Die schoene Frau Seidenman

Die schoene Frau Seidenman

Titel: Die schoene Frau Seidenman
Autoren: Andrzej Szczypiorski
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    I m Zimmer herrschte Halbdunkel, denn der Richter mochte das Halbdunkel. Seine gewöhnlich unfertigen und nebulosen Gedanken gerieten ungern in die Falle des Lichts. Alles auf Erden ist dunkel und unklar, und der Richter liebte es, die Welt zu ergründen. Deshalb saß er meistens in der Ecke des riesengroßen Salons in einem Schaukelstuhl, den Kopf zurückgelehnt, und seine Gedanken wiegten sich sanft im Rhythmus des Sessels; er setzte ihn durch leichtes Berühren des Fußbodens mit den Füßen, abwechselnd mit dem linken und dann wieder mit dem rechten, in Bewegung. An seinen Füßen trug der Richter knöchelhohe, von einer Metallspange gehaltene Filzpantoffeln. Die Spange blinkte bläulich über dem Teppich, sobald das Licht der vom Schirm abgedunkelten Lampe darauffiel.
    Der Schneider Kujawski betrachtete die Spangen an den Filzpantoffeln des Richters und berechnete im Geiste den Verlust, der ihm entstehen würde, falls er dem Richter das Bild im Goldrahmen, das an der Wand hing, abkaufte. Es stellte einen nackten Mann mit Hörnern dar, der auf einem Weinfaß saß. Der Schneider Kujawski glaubte, das sei der Teufel, einer jener fröhlichen, dem Trunk und den Späßen mit Frauen zugeneigten Teufel, die früher gern von Malern gemalt wurden, häufig vor einem recht dunklen und kaum erkennbaren Hintergrund. Mit einiger Mühe konnte der Schneider eine Mühle oder die Ruinen einer alten Burg ausmachen. Es waren zwar keine allzu schönen Bilder, doch hatten sie ihren Preis, und als Patriot und kultivierter Mensch legte der Schneider sein Geld in Kunstwerken an.
      »Sie meinen also, lieber Freund«, sprach der Richter Romnicki, »vom Krieg genug zu haben. Genug vom Krieg! Immerhin, der Friede ist den Menschen angeboren. Wir alle wünschen den Frieden, wie Sie sich ausgedrückt haben…«
      »So habe ich mich ausgedrückt«, sagte der Schneider und sah sich den Teufel auf der Tonne an. Dabei fiel ihm ein, daß dieser Teufel Faun hieß, und eine süße, selige Ruhe überkam ihn.
      »Nun ja, einverstanden. Soll der Krieg zu Ende gehen«, sprach der Richter, »sofort, in diesem Augenblick. Möchten Sie das, lieber Freund?«
    »Wer wollte es nicht, Herr Richter.«
      »Bitte überlegen Sie sich's gut. Ich rede im Ernst. Der Friede ist das Wichtigste, nicht wahr? Laßt uns darum den Krieg beenden. Sogleich, ohne die geringste Verzögerung. Geben Sie gut acht, lieber Herr Kujawski. Wo sind die Sowjets? Nehmen wir an, ungefähr am Don. Und die Angelsachsen? In Nordafrika. Vortrefflich. Unser werter Adolf Hitler beherrscht Europa. Und wir beenden heute den Krieg, Herr Kujawski. Denn Sie waren so freundlich zu bemerken, der Friede sei das Wichtigste. Ist es nicht so?«
      »Herr Richter«, rief Kujawski aus. »Wie denn? Mit den Deutschen am Hals?«
    »Entscheiden Sie sich, verehrter Freund. Außerdem werden sie sich von morgen an ändern. Es gibt Frieden, Frieden gibt es! Erst die Präliminarien, versteht sich, dann die Friedenskonferenz, ein paar Zugeständnisse von beiden Seiten. Die Sowjets dies, Hitler das, die Angelsachsen noch etwas anderes, aber Sie stehen ja auf dem Standpunkt, der Friede sei das Wichtigste, deshalb müssen sie irgendwie übereinkommen, dafür hat die Welt ihre Diplomaten, Staatsmänner, all die öffentlichen und geheimen Kanzleien, den Austausch von Dokumenten, Zylinder, Limousinen, Champagner, Friede den Menschen guten Willens, Herr Kujawski.«
    »Herr Richter«, murmelte der Schneider.
    »Tu l'as voulu, George Dandin!« rief der Richter mit entschlossener Stimme. »Jetzt bitte ohne Winkelzüge. Für die Winkelzüge sind auf der Welt andere Leute zuständig. Ach, teurer Freund, Kopf hoch! Wir haben ja Frieden! Und weil wir Frieden haben, dürfen die Okkupanten nicht länger so schrecklich wüten. Nun ja, wir sind unfrei. Aber wir haben uns daran gewöhnt, lieber Herr Kujawski. Schließlich sind wir beide in Unfreiheit geboren und werden auch in Unfreiheit sterben. Nun ja… Fest steht, daß sie uns zunächst grausam ausnützen werden. Vierzehn Stunden Sklavenarbeit täglich. Eine Schüssel dünne Suppe, Peitschen, Schläge. Aber das vergeht nach einiger Zeit. Weil Friede eingetreten ist, haben sie keine Chance, neue Sklaven zu nehmen. Sie müssen sich um diejenigen kümmern, die für sie arbeiten. Kopf hoch, lieber Herr Kujawski. Sind erst ein paar Jahre vergangen, werden wir acht Stunden täglich arbeiten, sie werden uns gute Lebensmittelkarten geben, sogar Kaffee und Tee werden wir
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