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Das Geheime Vermächtnis

Das Geheime Vermächtnis

Titel: Das Geheime Vermächtnis
Autoren: Katherine Webb
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was ihre Mutter über sie gesagt hatte, und sie wünschte sich immer noch mehr als alles auf der Welt, ihrer Mutter Freude zu bereiten und sie glücklich zu machen. Aber die Vorstellung, Freunde zu haben, war unwiderstehlich. Eine Woche später spielte sie in den schattigen Streifen des hohen eisernen Tors, als sie Flag und Maria den Weg zum Dorf entlanggehen sah. Sie würden sie nicht sehen, wenn sie nicht nach ihnen rief, und einen Augenblick lang war sie wie gelähmt, hin- und hergerissen zwischen der Sehnsucht, sich wieder mit ihnen zu unterhalten, und dem Wissen, dass sie das nicht tun sollte – schon gar nicht am Tor, das vom Haus aus gut zu sehen war, falls jemand zufällig an einem der Fenster auf der Ostseite stand. In ihrer Verzweiflung kam sie auf eine Art Kompromiss und fing laut zu singen an – das Erstbeste, was ihr einfiel, nämlich ein Lied, das Estelle manchmal sang, wenn sie die Wäsche zum Trocknen aufhängte.
    » I’d like to see the Kaiser with a lily in his hand «, schmetterte sie ohne rechte Melodie und hüpfte von einem stabförmigen Schatten zum nächsten. Flag und Maria drehten sich um, und als sie Meredith sahen, kamen sie zum Tor.
    »Hallo«, begrüßte Maria sie. »Was machst du da?«
    »Nichts«, entgegnete Meredith, deren Herz heftig gegen ihre Rippen hämmerte. »Und ihr?«
    »Wir gehen ins Dorf, um Brot und Bovril fürs Abendessen zu kaufen. Möchtest du mitkommen? Wenn wir einen gebrochenen Laib kriegen können, bleibt ein halber Penny für Süßigkeiten übrig«, sagte Maria.
    »Nicht unbedingt«, korrigierte Flag sie. »Wenn genug übrig ist, sollen wir Butter kaufen, schon vergessen?«
    »Ach, aber es ist nie genug für Butter übrig«, tat Maria seinen Einwand ab.
    »Ihr müsst selbst einkaufen gehen?«, fragte Meredith verwundert.
    »Natürlich, du Dummerchen! Wer sollte das denn sonst machen?« Maria lachte.
    »Ich nehme an, du hast Diener, die herumlaufen und dein Abendessen einkaufen, nicht wahr?«, fragte Flag ein wenig verächtlich.
    Meredith biss sich auf die Lippe, und eine verlegene Röte erhitzte ihre Wangen. Sie ging kaum jemals ins Dorf. Einige wenige Male hatte sie Mrs. Priddy oder Estelle zu irgendeiner Erledigung begleitet, aber nur, wenn ihr Vater nicht da war und ihre Mutter daniederlag und ganz gewiss nichts davon hören würde.
    »Also, willst du mitkommen?«
    »Das darf ich nicht«, sagte Meredith unglücklich. Ihre Wangen brannten noch heißer, und Flag sah sie mit zur Seite geneigtem Kopf und einem schelmischen Blitzen in den Augen an.
    »Es scheint ganz schön viel zu geben, was du nicht darfst«, bemerkte er.
    »Sei still! Das ist doch nicht ihre Schuld!«, ermahnte Maria ihn.
    »Komm schon – oder traust du dich nicht? Hast du etwa Angst?«, fragte er mit hochgezogener Augenbraue.
    Meredith funkelte ihn trotzig an. »Habe ich nicht! Nur …« Sie zögerte. Sie hatte tatsächlich Angst, da hatte er recht. Angst, ertappt zu werden, Angst vor dem heftigen Temperament ihrer Mutter. Aber es wäre so leicht, sich davonzu schleichen und zurückzukehren, ohne dass es jemand merkte. Sie müsste schon ganz großes Pech haben, um bei diesem ungeheuerlichen Verstoß erwischt zu werden.
    »Feiger, feiger Feigling«, sang Flag höhnisch.
    »Hör nicht auf ihn«, riet Maria ihr. »Jungen sind einfach dumm.« Doch Meredith hörte ihn sehr wohl, und sie wollte diesen Jungen mit den schwarzen Augen beeindrucken, und sie wollte mit seiner Schwester befreundet sein, sie wollte ebenso frei sein wie sie, kommen und gehen, wie es ihr gefiel, und Süßigkeiten und Brot fürs Abendessen im Dorfladen kaufen. Die Tore von Storton Manor schienen noch höher als sonst über ihr aufzuragen. Mit einer ängstlichen, blitzschnellen Bewegung griff sie nach dem Riegel, zog das Tor einen Spalt weit auf und schlüpfte hinaus.
    Flag marschierte voran, und Maria und Meredith gingen hinter ihm nebeneinanderher, pflückten Wildblumen aus den Hecken und warfen Fragen hin und her – wie es war, in einem Wohnwagen zu hausen, wie es war, in einem Herrenhaus zu wohnen, wie viele Diener es da gab und wie sie hießen und warum Meredith nicht zur Schule ging, und wie es in der Schule war und was sie da taten? Im Dorf blieben sie vor der offenen Werkstatttür des Hufschmieds stehen und sahen zu, wie er ein heißes Hufeisen an den Fuß eines Acker gauls drückte, dessen Hufe so groß waren wie Essteller. Beißende Rauchwolken zogen an ihnen vorbei, doch das Pferd zuckte nicht mit der Wimper.
    »Tut
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