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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild
Autoren: Eliza Graham
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Sie alle mit Ihren Klassen oder Seminargruppen darüber sprechen.« Dad hörte sich an, als hätte er schon ein langes Schuljahr hinter sich, dabei hatte das neue Trimester erst vor wenigen Wochen angefangen. Von der Erholung im Griechenlandurlaub, den er und Mum vor ihrem Tod gemacht hatten, war nichts mehr übrig. »Und mit den Vertrauensschülern. Aber vor allem wollen wir versuchen, jegliches Aufsehen zu vermeiden. Es ist nichts weiter als ein dummer Scherz, der schiefgegangen ist.« Eine Sekunde lang schien er seine Müdigkeit beiseitezuschieben und sein ruhiges und zuversichtliches Schuldirektorlächeln aufzusetzen.
    Die meisten Lehrer nickten. Nur Deidre schien nicht seiner Meinung zu sein. Ich wusste, dass sie dasselbe dachte wie ich: Die beiden von Dad beschriebenen Aktionen waren nicht kompatibel. Wenn wir mit den Schülern sprachen, würden diese spitzkriegen, dass uns etwas beunruhigte. Sie würden Spekulationen anstellen. Und das war höflich ausgedrückt. Dann würde der Austausch über die sozialen Netzwerke erst richtig losgehen.
    Jeremy schien sich wieder gefasst zu haben und nahm die Puppe erneut auf. »Ihr Kopf ist mit irgendetwas gefüllt«, meinte er angewidert. »Deshalb ist er so schwer und fühlt sich an wie ein richtiger Babykopf.« Er schob sie auf den Tisch zurück.
    Simon schauderte sichtlich.
    »Ich kenne das Gewand«, sagte Deidre und befingerte das elfenbeinfarbene Leinen. »Ist das nicht eins aus dem Stück, Jenny?«
    Natürlich, Hexenjagd . Eins der Mädchen im Theaterstück, das in diesem Trimester aufgeführt werden sollte, trug in einer Gerichtsszene ein Baby im Arm. Aber dabei handelte es sich um eine ganz traditionelle Babypuppe, die einmal meiner Schwester gehört hatte und ganz offensichtlich aus Plastik war, mit Augen, die zuklappten, wenn man sie niederlegte.
    Jenny Hall, welche die Theatergruppe leitete, kam näher und befühlte das elfenbeinfarbene Kleid. »Sieht tatsächlich aus wie unser Kostüm. Wir hatten die alle herumliegen. Aber vermisst habe ich es nicht, weil wir noch gar nicht so weit sind, dass wir die Kostüme und Requisiten aussuchen.« Sie verzog das Gesicht beim Anblick des Risses, den der Brieföffner im Leinen hinterlassen hatte. »Hoffentlich lässt sich das gut flicken.«
    »Ich kann das für Sie machen.« Es war das Erste, was Emily an diesem Abend gesagt hatte.
    »Danke.« Jenny reagierte überrascht, aber auch erleichtert auf dieses Angebot.
    »Ich kümmere mich darum, sodass man die Ausbesserung nicht sieht«, ergänzte Emily. »Keiner wird etwas merken.« Ihre Stimme bebte noch immer. Ich lächelte ihr aufmunternd zu.
    »Wenn das alles war.« Jeremy zog das Oberteil seines Trainingsanzugs nach unten. »In zehn Minuten beginnt die Basketball-AG der Unterstufe. Ich muss die Turnhalle herrichten.« Ein paar andere von uns erhoben sich ebenfalls. Ich war heute mit der Hausaufgabenbetreuung im Gavin House auf der anderen Seite des Rasens dran und musste den Primaner ablösen, der dort abgestellt worden war, um für Ruhe zu sorgen und Fragen zur Geometrie und zu französischen Verben zu beantworten, bei denen das Perfekt mit être gebildet wurde.
    Mein Vater warf einen Blick auf seine Uhr. Er überprüfte, dass ich nicht zu spät kam. Erst vor ein paar Tagen hatte ich auf seinem Schreibtisch den Ausdruck meines eigenen Stundenplans gefunden. Er war ein Risiko eingegangen, indem er mir an seiner Schule die Stelle als Englischlehrerin gab. Außerdem war da diese Woche, diese schlimme Woche, über die wir nicht sprachen. Wieder ertappte ich mich dabei, dass ich mich im Raum nach Mum umsah. Wäre sie heute Abend hier gewesen, würde sie jetzt ihr Nähzeug auspacken und plaudernd Fäden auf Spulen wickeln und Stoffe zusammenfalten.
    Sie war ständig damit beschäftigt, Vorhänge und Kissenbezüge zu nähen, dafür besaß sie echtes Talent. Die langen Vorhänge nach Mustern von William Morris in der Eingangshalle und vor sämtlichen Fensterflügeln auf den Treppenabsätzen stammten aus ihrer Hand, und die auffallende ziegelrote Farbe an den Wohnzimmerwänden, vor der die meisten Menschen zurückgeschreckt wären, war ihre Wahl gewesen. Die Farbe brachte uns ständig Komplimente von Eltern ein, die auf Besuch kamen. Auch die Sitzpolster der Fensterbänke im Lehrerzimmer, die sie während des Sommers neu bezogen hatte, verrieten mit ihren kräftigen geometrischen Mustern, dass sie den Mut hatte, Neues auszuprobieren. Jeder andere hätte aus Sorge, sie könnten in
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