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Das geheime Bild

Das geheime Bild

Titel: Das geheime Bild
Autoren: Eliza Graham
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hatten es bestimmt nicht leicht bei der Hausaufgabenbetreuung der jüngeren, während wir hier unsere Notfallkonferenz abhielten.
    Jetzt kam Dad herein, er hatte eine Plastiktüte in der Hand, seine Augen waren schmal. Die Anwesenden stupsten einander an. Ein paar bedachten mich mit kurzen Seitenblicken. Die Tochter des Direktors, die nach Hause zurückgekehrt war, weil ihr Leben auseinandergebrochen war. Die sich wegen der Loyalität zu ihrer Familie niemals ganz auf die Seite der Angestellten schlagen konnte .
    Passt auf, was ihr vor ihr sagt, es könnte an Charles weitergegeben werden. Wie ist sie überhaupt als Lehrerin? Ein Glück für sie, dass sie hier einen Schwangerschaftsurlaub vertreten kann. Weiß jemand, wo sie vorher war? Ah, auf einer Gesamtschule. Dann kennt sie sich ja aus mit der Kontrolle der Massen.
    Dad war eine Respektsperson, er hatte eine Ausstrahlung, die man weder erlernen noch lehren konnte. Wenn er den Raum betrat, richteten sich alle gerader auf. Männer fummelten an den obersten Knöpfen ihrer Hemden herum und rückten Krawatten zurecht. Lehrerinnen strichen eingebildete Falten in ihren Hosen oder Röcken glatt. An diesem Abend war er blass, sein Mund entschlossen. Er sah sich im Raum um, hielt womöglich ebenfalls Ausschau nach meiner Mutter. Es war ihm immer lieb, wenn sie da war. Ich sah, wie er sich im Geiste einen Ruck gab. Sie wird zu keiner Lehrerkonferenz mehr erscheinen. Er ging zu dem Tisch, wo wir zur Vormittagspause immer Kaffee und Kekse servierten, seine Schuhe glänzten, sein Sommeranzug war faltenlos. Keiner sagte etwas.
    »Guten Abend, alle zusammen. Es gibt da etwas, was ich Ihnen zeigen muss.« Er zog den Pappkarton aus der Tüte, nahm den Deckel ab und kippte die Schachtel aus. Gegen meinen Willen sprang ich auf und wollte ihm zurufen, er solle aufhören und nicht enthüllen, was immer da drin lag.
    Ein kleiner Körper fiel auf den Tisch. Metall schlug auf Holz. Jemand unterdrückte einen Schrei. »Mein Gott«, sagte Simon. Ich hörte mich einen Laut wie einen gedämpften Warnschrei ausstoßen.
    Das Baby lag auf der Holzplatte, ein Arm hing lose herab, der andere ging abgewinkelt Richtung Gesicht, als wollte es an seinem Daumen lutschen. Es trug ein langes weißes Leinengewand und ein Mützchen aus Spitze. Seine Hände bewegten sich nicht, seine blassblauen Augen starrten uns gelassen an. In seiner Brust steckte der Griff eines silbernen Brieföffners. Ich blinzelte und schaute noch einmal hin, und da lag das Baby noch immer auf dem Eichentisch des Lehrerzimmers, neben gestapelten Geografiebüchern und einer einzelnen schmutzigen Kaffeetasse.
    »Dad …«
    »Ein Streich.« Seine Hände zitterten. »Jemand hat diese, diese … Puppe im Karton in den Schrank des Geschichtsraums gelegt.«
    »Puppe?«, sagte ich töricht.
    Simon erhob sich. »Ich sage Ihnen, es sah aus wie ein echtes Baby, es …« Die Stimme versagte ihm.
    »Sie sollten sich nicht vorwerfen, dass Sie sich haben übertölpeln lassen.« Dads Lippen verzogen sich zu einem aufgesetzten Lächeln. »Selbst die Polizei ließ sich täuschen. Wenn auch nur einen kurzen Moment lang.« Er spürte die Anspannung und verfiel in ein übergenaues, gestelztes Englisch mit einem leichten Akzent. Ich fragte mich, ob die anderen es auch bemerkt hatten.
    Emily starrte ihn an. Mir fiel auf, dass sie ihre schmalen Hände so fest zusammenpresste, dass die Knöchel weiß waren. Sie schien in den Falten ihrer seidig glänzenden Strickjacke zu verschwinden, die sie trug, als wollte sie sich verstecken. Es war nur ein Streich, sagte ich mir. Entsetzlich und makaber, aber nichts weiter als ein Streich.
    Deidre war aufgestanden. »Es sieht unglaublich lebendig aus.« Sie näherte sich dem Tisch und streckte eine Hand aus, wobei sie meinen Vater fragend ansah.
    Er zuckte mit den Achseln. »Nur zu.«
    »Was ist mit Fingerabdrücken?«, wollte jemand wissen.
    »Die Polizei hat keine genommen.«
    »Wieso denn nicht um Himmels willen?«, platzte es aus Simon heraus.
    »Es wurde kein Verbrechen begangen. Außer dass die Zeit der Polizei vergeudet wurde.«
    »Aber …« Simon zeigte auf den Brieföffner.
    »Das«, mein Vater nickte in Richtung der erstochenen Puppe, »ist bloß ein Spielzeug. Ein Spielzeug zu erstechen ist kein Verbrechen, so unerfreulich dieser Fund auch sein mag.«
    »Ein ziemlich seltsames Spielzeug«, meinte Simon zähneknirschend. »Was ist das für ein Mensch, der so etwas tut?«
    »Ich habe etwas über solche Puppen
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