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Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Titel: Das Gegenteil von Schokolade - Roman
Autoren: Mirijam Muentefering
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lebensfremden und fiktiven Welt. Und das nur, weil es mir leichter scheint, für mich selbst Personen zu erfinden, als mich mit meiner Realität auseinander zu setzen.
    Ich lasse ja nicht einmal zu, dass die Personen, die ich dort treffe – na ja, zumindest theoretisch treffen könnte – , irgendetwas über mich wissen. Nur ganz zu Anfang, bei meinem zweiten Chat-Anlauf, hatte ich so einen Versuch unternommen. Im Gespräch mit einer anderen Hundebesitzerin aus der Nachbarstadt hatte ich erwähnt, wo man hier im Umkreis gut spazieren gehen kann und wo ich täglich meine Runden drehe. Sofort hatten sich alle darauf gestürzt wie die Aasgeier und mir in dem hier üblichen flirrenden Ton erklärt, wie viel Besuch ich demnächst auf meinen Hundegängen erwarten dürfte. Getroffen habe ich nie eine von ihnen, obwohl ich die ersten Tage mächtig Schiss davor hatte. Aber seitdem bin ich vorsichtig und halt mich lieber zurück. Und bin damit uninteressant für die anderen.
    »Wenigstens kann ich mich im Lesbenchat nicht in irgendeinen Blödmann einsamkeitsverlieben«, hatte ich mit einem schiefen Grinsen zu Michelin gesagt. Ihr Blick war verstohlen von meinem Gesicht fortgehuscht in eine Zimmerecke, und ich musste noch lange an den Ausdruck darin denken.
    Silbermondauge. Nun, Silbermondauge ist meine Heldin. Sie ist meine Protagonistin in diesen nächtlichen Geschichten. Auch wenn sie häufig schweigt. Wann immer sie etwas zu sagen hat, legt sich ein weiteres Puzzlestückchen zu den anderen und formt mit ihnen das Bild einer bemerkenswerten Individualität.
    So wie ich früher die »Fünf Freunde« las und »Geheimagent Lennet« und wie ich heute Kriminalgeschichten mit klugen weiblichen Detektivinnen verschlinge, so lese ich jetzt diese Dialoge, die um Liebe und um viele andere, manchmal auch weniger massive Themen kreisen. Ich wäre gerne wie Silbermondauge und würde zu manchen Gesprächen meinen schlauen Beitrag leisten. Aber wenn mir einmal eine funkelnde Idee kommt, beschleicht mich gleich wieder dieses beklemmende Gefühl, als gehörte ich nicht hierher. Als hätte ich mich mit einer Tarnkappe eingeschlichen in ihre Gemeinschaft. Als stehe es mir nicht wirklich zu, eine Meinung abzugeben zu dem, was das Leben von ihnen ausmacht. Das Leben von Lesben.
    Wenn ich an dieser Stelle meiner Überlegungen angekommen bin, fühle ich mich noch leerer und tauber als tagsüber.
    Silbermondauge wartet am Rand. Genau wie ich. Nicht genau wie ich.
    Die anderen – die bestimmt für sie auch »die anderen« sind, und das allein macht uns zu einer Art Verbündeten, auch wenn sie es sicher noch nicht bemerkt hat – plaudern miteinander über eine lesbische TV -Serie, die sie drehen würden, wenn sie die Chefinnen bei einem privaten Sender wären.
    Produzieren , denke ich. In diesem Falle heißt es produzieren . Denke an meinen aktuellen Auftrag, zu dem ich noch in der Recherche stecke. Denke an meinen letzten Auftrag, zu dem ich vorige Woche die Abnahme am Sender hatte. Der dunkle Vorführraum, in dem echte Kinosessel stehen. Die beiden Produktionsleiter, die in ihren teuren, leger sitzenden Anzügen auf den Lehnen hockten, um sportlich und dynamisch zu wirken. Die Zigarillos, die einer von ihnen rauchte. Meine Kopfschmerzen, höllisch, über dem rechten Auge, als ich heimfuhr, später, nach endlosen um ihrer selbst willen geführten Diskussionen um Einstellungsgrößen und raschere Montage. Kopfschmerzen von der Gesellschaft dieser Macher. Daheim die Wohnung kalt, weil ich vergessen hatte, das Fenster zu schließen. Ein sperrangelweit offenes Fenster und noch nicht einmal ein griesgrämig dreinblickender Hund, weil Lothar Loulou für einen Spaziergang abgeholt hatte.
    Lange hatte ich auf meinem Bett gesessen und den Baum vor dem Fenster angeschaut. Wieso passiert mir so etwas?, hatte ich ihn gefragt. Wieso passiert es mir, dass ich plötzlich allein bin?
    Eine Träne tropft auf die Tastatur, und ich fummele die Spitze eines Taschentuches so hin, dass ich damit die Flüssigkeit aus den Ritzen saugen kann.
    Pling macht es.
    Ich sehe hin.
Telegramm von silbermondauge: Und in den Nächten fällt die schwarze Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit.
    Ich schaue auf die Worte.
    Starre.
silbermondauge: wenn du dich jetzt wieder abmeldest, entgeht dir eine tolle unterhaltung …
    Noch nie hat sie ein Wort an mich gerichtet.
    Immer hat sie, ebenso wie ich, dort am Rande gelauert und hat teilgenommen und, anders als ich, hin und wie der
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