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Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Titel: Das Gegenteil von Schokolade - Roman
Autoren: Mirijam Muentefering
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Gute-Nacht-Häppchen.
    Dass die Milch sauer ist und in der Keksdose irgendein Käferweibchen Nachwuchs produziert hat, muss nun wirklich kein Zeichen sein. Aber ich bin gewillt, es als ein solches zu betrachten.
    Der Computer fährt hoch.
    Ich knabbere dazu ein bisschen an meinen Fingernägeln.
    Loulou reckt sich auf dem Sofa und gähnt quietschend. Wenn sie wüsste, dass ich ihren Namen benutze, während ich durch die virtuelle Welt sause und am möglicherweise ja auch fiktiven Leben fremder Menschen teilnehme, die sich immer schöner, größer, besser, erfolgreicher und beliebter geben, als sie es wahrscheinlich wirklich sind.
    Ich platze mitten hinein in eine Eifersuchtsszene.
Jannette23: du hast nicht NUR geguckt! oder denkst du, ich bin blind?
Supermaid: aber da ist doch nun wirklich nichts dabei … ich hab doch nichts schlimmes getan
Grinsnichso: und ich auch nicht
Supermaid: halt dich mal kurz da raus, grinsi, wir müssen das in ruhe klären
Jannette23: lass sie ruhig ihren brei dazu abgeben. interessiert mich wirklich, wie ihr zwei euch gemeinsam da rausreden wollt.
Grinsnichso: wieso rausreden? du bist ja echt psycho!
Supermaid: ey! schluss jetzt mal. komm, janni, lass uns pvt gehen!
Grinsnichso: dann krieg ich doch gar nichts mehr mit!
Supermaid: das geht jetzt auch nur uns was an
Jannette23: jetzt geht dir echt die düse, wie? bisschen spät, findest du nicht?
Grinsnichso: man, seid ihr blöd … L
Grinsnichso: dann fahrt doch demnächst nicht aufs chatter-treffen, wenn ihr euch gegenseitig nicht traut
Grinsnichso: ne beziehung über 500 kilometer und nur durchs chatten funktioniert doch eh nich …
silbermondauge: du bist allein … hast du’s noch nicht gemerkt? die beiden haben sich zurückgezogen
    Da ist sie wieder!
Grinsnichso: boooah! du schon wieder! kannst du deine kommentare bitte ausnahmsweise mal zurückhalten?
silbermondauge: zurückhaltung ist eine tugend, die nur diejenigen besitzen, die ihre weisheit eifersüchtig bewachen
Grinsnichso: ist das jetzt wieder so ein chinesisches sprichwort, odda was?!
silbermondauge: das war original silbermond
    Ich muss lächeln.
    Wir sind uns ein bisschen ähnlich, denke ich manchmal.
    Auch ihr Name steht meist nur am Rand in der Liste derer, die im Raum angemeldet sind. Weil sie sich aber nicht am allgemeinen Gespräch beteiligte, dachte ich anfangs, sie unterhalte sich gerade per Telegramm mit einer anderen. Ich dachte tatsächlich, ich sei die Einzige, die sich hier rumdrückt und einfach nur mitliest, was die anderen dort schreiben.
    Aber dann, irgendwann, mischte sie sich plötzlich ein in ein Gespräch. Und zwar so, dass alles in Aufruhr geriet. Nur weil sie ein paar Sätze von sich gab und dazu noch in Form eines Gedichtes.
    Und als alle anderen sich die Köpfe heiß redeten, die Finger wund tippten, die Zeilen über meinen Bildschirm rasten, da zog sie sich wieder zurück. Nur ihr Name lauerte am Rande und ließ uns andere wissen, dass sie noch da war.
    Seitdem achte ich darauf, ob sie online ist, wenn ich es bin.
    Seitdem fahre ich meinen Computer gerne spät abends hoch. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie hier ist, ist dann größer.
    Ich stelle sie mir vor als eine Filmfigur in einer Tragikomödie. Eine, die gern in Reimen und Zitaten spricht. Eine, die sich immer nur für einen Augenblick ins Leben einmischt und sich dann wieder davonmacht auf leisen Sohlen, verstohlen lächelnd. O.k., ich gebe es zu: Ich stelle sie mir so vor, wie ich selbst gern sein würde.
    In ihrem Profil findet jede, die sich dafür interessiert, als Heimatort das Ruhrgebiet angegeben. Ich hatte mich dafür interessiert. Und dieses simple Wort ›Ruhrgebiet‹ verstärkte mein Gefühl, etwas gemeinsam mit ihr zu haben. Das Bewusstsein für diese aneinander geklebten Städte, in denen Lokalpatriotismus zur Tradition und Pommes-rot-weiß von der Bude an der Ecke zum guten Ton gehören.
    »Silbermondauge. Silbermond«, hatte Michelin gemurmelt , als ich ihr von meinen Beobachtungen erzählt hatte. Immerhin stammt der Tipp mit dem ›netten Lesben-chat-room‹ von ihr. »Nein, an die kann ich mich nicht erinnern. Aber das muss auch nichts heißen. Ich chatte ja schon lange nicht mehr. Seit ich nicht mehr solo bin, hab ich ja viel zu viel zu tun mit dem wirklichen Leben …« Damit hatte sie ihren Redefluss gestoppt und mich bestürzt angesehen.
    Aber es braucht ja nicht den entschuldigenden Blick einer guten Freundin, um zu erkennen, was ich tue: Ich vergrabe mich in einer
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