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Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Das Gegenteil von Schokolade - Roman

Titel: Das Gegenteil von Schokolade - Roman
Autoren: Mirijam Muentefering
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1 . Nachts ist das Leben nicht anders als am Tag
    Als sie sich kennen lernten, stand der Mond am Himmel wie ein kreisrundes Herz in der Mitte der Nacht. Es war eine von jenen Begegnungen, denen wir anfangs nicht viel Bedeutung beimessen. Doch wenn wir später zurückschauen, entdecken wir dutzende von Hinweisen darauf, dass hier etwas geschah, das unser Leben verändern würde. Wenn wir es nur erlauben.
    (Seite 1 des Romans »Von der Umkehr der Endgültigkeit«, Patricia Stracciatella)
    D er Baum vor meinem Fenster spricht zu mir.
    Tagsüber ist jetzt Wetter zum Drachensteigenlassen, dass es einem die Schnur aus der Hand reißen will.
    Abends ist es die Zeit, um mit einer Wolldecke, weil es für Heizung im Oktober wirklich noch zu früh ist, auf dem Sofa zu liegen, einen ergebenen Hund zu Füßen, und ein unterhaltsames Buch zu lesen.
    Ich starre auf die elektrostatisch aufgeladenen Flusen der Decke, die wahrscheinlich zum größten Teil aus Kunststoff besteht. Das unterhaltsame Buch in meinen Händen habe ich bereits vor einer ganzen Weile abgelegt, Schrift nach unten. Statt zu lesen, lausche ich hinaus. Horche durch die Mauern und Fensterscheiben des Hauses, was der Baum mir sagen will.
    Die Sache ist die, dass ich zuerst gar nicht wusste, dass er es ist. Zuerst war es mir nämlich irgendwie unheimlich.
    Komische Geräusche, fand ich. So ein Geknarre und Geächze. Und selbst wenn meine liebe Vermieterin, Frau Silber, in ihrer Wohnung unter meiner mal wieder Renovierungsarbeiten vornehmen sollte, war es dafür viel zu spät am Abend.
    Ich war in der Nacht aufgewacht und hatte diese beängstigenden Geräusche wieder gehört und mich gewundert.
    Lag wach und blickte schlafblind zum Fenster.
    Sagte mitten in der Nacht plötzlich laut »Ah!«, weil ich in dieser Sekunde endlich begriff, woher diese Töne kamen. Laut »Ah!«, ohne daran zu denken, dass ich jemanden wecken könnte damit. Vielleicht auch, weil ich schon verinnerlicht hatte, dass ich niemanden damit wecken würde. Denn ich schlief wieder allein.
    Nach langer Zeit wieder allein zu schlafen, ist gewöhnungsbedürftig. Selbst dann, wenn der ehemalige Freund und Bettnachbar hin und wieder im Schlaf mit den Zähnen geknirscht und ich ihn aus diesem Grund mehr als einmal auf den Mond gewünscht hatte.
    Weil ich auch nach sieben Wochen immer noch nicht gut allein schlafen kann, halte ich mich häufig auf dem Sofa auf. Auch weil Loulou, meine gefleckte Mischlingshündin, die Erlaubnis besitzt, auf dem Sofa Platz zu nehmen, während das Bett für sie verboten ist.
    Es ist nicht ungewöhnlich, dass ich nachts um halb eins hier sitze und, mit einem unterhaltsamen Buch auf dem Schoß, dem Baum lausche.
    Ich hab wirklich keine Ahnung, was er sagt, aber ich kenne seine Sprache inzwischen recht genau. Sie besteht entweder aus einem leisen Singen und Raunen oder aber einem gewaltsamen Toben, eben diesem Ächzen, das mir anfangs Angst eingejagt hatte.
    Ich weiß nicht einmal genau, was das für ein Baum ist. Er trägt auch jetzt, im Oktober, noch sein komplettes Kleid an weichen duftigen Nadeln und dazu Früchte, die von meinem Küchenfenster aus aussehen wie grüne Cocktailwürstchen. Sein Stamm ist dick und stark. Das muss er auch sein, denn sonst würde er sich da an der Hausecke bestimmt hin und her biegen und drohen, Löcher in die Mauern zu reißen. Und das wäre unter Frau Silbers gestrengen Augen bestimmt sein Todesurteil. So aber, weil er so stark ist, kann er das Haus beschützen und zu mir sprechen – auch wenn ich ihn nicht verstehe.
    Als ich mir die Wohnung vor drei Monaten ansah, stand sie leer. Frau Silber war stolz auf die frisch umgebauten Räume und präsentierte mir mit geschwellter Brust den riesigen Wohnraum, der zum Balkon hinaus eine lange Fensterfront besitzt. Direkt anschließend, durch eine weiße Schiebetür abtrennbar, befindet sich die kleine gemütliche Küche. Das Bad ist neu gefliest und sieht aus wie aus dem Kempinski. Aber den tatsächlichen Anstoß zu meiner Entscheidung gab das Schlafzimmer. Es ist klein und fast quadratisch und wirklich nichts Besonderes. Aber direkt vor dem Fenster steht eben der Baum, der auch von der Küche aus zu sehen ist. Ich hatte gleich den Eindruck eines Nestes, das in den Baumkronen hängt, und das fand ich so gemütlich, dass ich die Wohnung nahm.
    Dann musste nur noch der Umzug vorbereitet werden.
    Lothar stand oft mit verschlossenem Gesicht neben mir, wenn ich Dinge in Zeitungspapier wickelte und in den
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